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Erkin Alptekin

Bonn, 19. Juni 1999

Einführung
In den letzten Jahren bezeugte die Welt einige heftige antichinesische Demonstrationen, bewaffnete Aufstände und sogar Bombenattentate in Ostturkestan, das auch unter seinem kolonialen Namen als Xinjiang oder Xinjiang Autonome Region Uigur bekannt ist. Die jüngste anti-chinesische Demonstration fand am 5. Febr. 1997 in der Stadt Ili statt. Seitdem wird Ostturkestan von Krawallen, Sprengsätzen und Morden erschüttert. Einigen zuverlässigen Quellen in Ostturkestan zufolge häufen die Uiguren Waffen, Munition und Sprengstoff im ganzen Land an. Parolen auf Flugblättern und Plakate größeren und kleineren Formats, welche die Chinesen zum Verlassen Ostturkestans auffordern, werden in jeder Stadt, jedem Landkreis und jeder Gemeinde verteilt. Studenten und Schulkinder boykottieren ihre Unterrichtsklassen und uigurische Arbeiter veranstalten Streiks, um gegen die chinesische Herrschaft in Ostturkestan zu protestieren. Chinesischen Quellen zufolge befürworten uigurische Kader bei örtlichen Partei- und Regierungstreffen sogar offen die „ethnische Selbstbestimmung“. In jeder größeren Stadt, Kreis und Gemeinde werden chinesische Flaggen verbrannt und statt dessen die ostturkestanische Nationalflagge gehißt. Es heißt, daß die Uiguren bereits Nahrungsmittel und Medikamente für eine wahrscheinliche größere Erhebung rationieren.
Anstatt diese gespannte Lage zu entschärfen zu suchen, griffen die chinesischen Kommunisten zu schonungslosen repressiven Maßnahmen, welche die uigurischen Forderungen nach einem würdigen Leben totschweigen sollen. Während eines Treffens der Chinesischen Kommunistischen Partei unter dem Vorsitz von Präsident Jiang Zemin am 19. März 1996 wurde eine 10 Punkte umfassende Verordnung angenommen, die den regionalen chinesischen Verwaltungsorganen in Ostturkestan die Durchführung eines „erbarmungslosen“ Kampfes gegen die sogenannten „Spalter“ befielt. Besucher in Ostturkestan in der letzten Zeit berichteten, daß die größeren Städte wie Hoten, Kashgar, Kucha, Aksu, Urumchi und Ili wie bewaffnete Polizeigarnisonen ausschauen. Fast 200.000 „Anti-Krawall“ Sondereinsatztruppen wurden von dem benachbarten Lanzhou Militärdistrikt nach Ostturkestan entsandt, die Sicherheitskräfte auf den Straßen wurden verdoppelt und bewaffnete Fahrzeuge patrouillieren rund um die Uhr durch die größeren Städte und Gemeinden.
Jahrhundertelang war Ostturkestan indessen ein Ort des Friedens, der Toleranz und Sicherheit. Entlang der historischen Seidenstraße gelegen, die Ost- mit Westturkestan verband, war es Ansiedlungsgebiet verschiedener ethnischer, religiöser und linguistischer Volksgruppen. Viele Jahrhunderte lang lebten diese in Frieden und Eintracht miteinander. Schamanismus, Buddhismus, Christentum und Islam blühten Seite an Seite. Niemand wurde wegen seiner Rasse, Hautfarbe oder seines Glaubens diskriminiert. Die Kaghane oder die von den Stammesoberen erwählten Herrscher waren verpflichtet, sich an das Töre (Moralgesetz) zu halten. Diesem zufolge ist der Kaghan der Vater seines Landes. Deshalb muß er freundlich und gerecht sein und die Rechte seines Volkes respektieren. Seine Entscheidungen unterlagen der Zustimmung des Kurultai, was heutzutage dem Parlament entsprechen würde. Das Kurultai wurde von den Stammesvertretern gebildet. Die Uiguren spielten eine wichtige Rolle bei der Herausbildung der zentralasiatischen Zivilisation. Westliche Gelehrte, Archäologen und chinesische Gesandte, die bei ihren Reisen durch Ostturkestan kamen, drückten immer wieder ihr Erstaunen über den hohen Stand der uigurischen Kultur aus. So schrieb beispielsweise Wang Yen De, der zwischen 981 und 984 als chinesischer Gesandter in dem Königreich Ostturkestan weilte, folgendes:
„Ich war beeindruckt von der ausgedehnten Zivilisation, die ich in dem uigurischen Königreich vorfand. Die Schönheit der Tempel, der Türme, der Gärten, der Klöster, der Wandmalereien, Statuen, Gebäude und Paläste im ganzen Reich kann nicht in Worten ausgedrückt werden. Die Uiguren sind sehr geschickt im Gold- und Silberschmiedehandwerk, in der Herstellung von Vasen und Trinkgefäßen. Manche sagen, daß Gott solch ein Talent nur diesem Volk schenkte. Das Königreich ist ein reiches Land und dort gibt es keine Armen. Es gibt auch keinen Hunger. Es herrscht dort solch ein Verwaltungssystem, daß der Staat die Armen unterstützt. Deshalb trifft man auf keinen vorzeitigen Tod durch Verhungern...“
Der deutsche Gelehrte Albert von Lecoq: „... Verglichen mit den Europäern des Mittelalters waren die Uiguren viel fortschrittlicher. In Ostturkestan gefundene Dokumente beweisen, daß ein uigurischer Bauer einen Vertrag mit juristischer Terminologie niederschreiben konnte. Wie viele Bauern in Europa hätten dies zu jener Zeit vermocht...?“
Und der ungarische Gelehrte Lazslo Rasonyi: „... Im Mittelalter waren chinesische Dichtkunst, Literatur, Theater, Musik und Malerei in großem Maße von den Uiguren beeinflußt. Die Uiguren wußten schon Jahrhunderte, ehe Gutenberg seine Buchdruckerpresse erfand, wie man Bücher druckt...“
Wie ist es dazu gekommen, daß Ostturkestan, das einst ein Land des Friedens, der Toleranz und Stabilität war, nun ein Schauplatz von Gewalt geworden ist, und die Uiguren, die fast zweitausend Jahre lang nicht wenig zur Bereicherung der zentralasiatischen Kultur beitrugen, nun zu Selbstmord-Bombenlegern geworden sind? Es gibt dafür verschiedene Gründe, von denen ich nur die drei wichtigsten nennen möchte.

1. Das schon lange bestehende Verlangen nach Selbstbestimmung

In Ostturkestan, der Wiege der uigurischen Geschichte, Kultur und Zivilisation, drangen 1760 die Manchu Herrscher Chinas ein, die es bis 1862 beherrschten. Aber in dieser Zeit veranstalteten die Uiguren 42 Aufstände, um die Manchus abzuschütteln. Bei dem letzten von 1863 konnten sie erfolgreich die Manchus aus ihrem Land vertreiben und ihre Unabhängigkeit wiederherstellen. Dieser unabhängige Staat Ostturkestan wurde von dem Osmanischen Reich, dem zaristischen Rußland und Großbritannien anerkannt. Aber aus Furcht vor einer russischen Expansion nach Ostturkestan und schließlich auch nach Tibet überredete Großbritannien den Manchu Hof, erneut in Ostturkestan einzufallen. Das Geld für die Invasion der Manchu wurde von britischen Banken zur Verfügung gestellt. Ein großes Manchu Heer griff 1876 Ostturkestan an. Danach bekam es die neue Bezeichnung Xinjiang, was Neues Territorium bedeutet, und wurde am 18. November 1884 dem Manchu Reich einverleibt.
1911 stürzten die Nationalchinesen die Manchu Herrschaft und errichteten die Republik. Dr. Sun Yat Sen, der Gründer von Nationalchina, erklärte in dem Artikel 4 des Nationalen Entwicklungsprogrammes, das er dem ersten Kongreß der Kuomintang Partei 1924 vorlegte, daß die Uiguren, ein Turk- und Moslemvolk, ein Recht auf Selbstbestimmung haben und daß dieses Recht ihnen auch gewährt werden muß.
Nach dem Tod von Dr. Sun Yat Sen ging die Macht auf Chiang kai Shek und seine Clique über. Diese strich nicht nur den Artikel 4, der den Uiguren Selbstbestimmung garantierte, sondern machte sogar territoriale Ansprüche auf Ostturkestan geltend. Die Manchus waren jedoch nicht nur für die Uiguren, sondern auch für die Chinesen Fremde.Der Sturz der Manchu Herrschaft in China hätte deshalb eigentlich ein Ende der geschichtlichen Verbindung Chinas mit Ostturkestan bedeuten sollen. Aber die Nationalchinesen erhoben damals Ansprüche auf Ostturkestan, obwohl das, was die beiden Länder verbunden hatte, nur die gemeinsame Beherrschung durch die Manchus war. Als Ergebnis inszenierten die Uiguren, die das fremde Joch abschütteln wollten, damals mehrere Aufstände gegen die nationalchinesische Herrschaft. Zweimal, 1933 und 1944, gelang es ihnen sogar, ihre unabhängige Ostturkestanische Republik auszurufen. Aber diese unabhängigen Republiken wurden bald wieder durch die militärische Intervention und die politischen Intrigen der Sowjetunion zu Fall gebracht.
Die provisorische Konstitution der chinesischen Kommunisten, die von dem Ersten Gesamtchinesischen Kongreß der Arbeiter- und Bauerndelegierten 1941 gebilligt wurde, verkündete: „... in solchen Regionen wie Mongolei, Tibet und Xinjiang... haben die Nationalitäten das Recht, selbst festzulegen, ob sie sich von der Sowjetrepublik China trennen und ihre eigenen unabhängigen Staaten bilden, ob sie der chinesischen Union beitreten oder ob sie autonome Regionen innerhalb der chinesischen Sowjetrepublik bilden möchten...“
Auf dem 7. Kongreß sagte Mao Zedong, der die repressive Politik der Kuomintang als einen groben Chauvinismus denunziert hatte, daß die Kommunisten nach ihrer Machtübernahme in China voll hinter der Position von Dr. Sun Yat Sen hinsichtlich der „Selbstbestimmung“ stehen werden.
Nach der Machtergreifung in China 1949 wollten die chinesischen Kommunisten jedoch nichts mehr von ihren Versprechen über Selbstbestimmung wissen. Deshalb kämpfen die Uiguren, die niemals die chinesischkommunistische Besatzung, Kolonisierung und Dominierung akzeptierten, seitdem um ihr Recht auf
Selbstbestimmung. Schließlich ist dieses Recht ein Grundrecht, das von der Charta der Vereinten Nationen und den Internationalen Menschenrechtsverträgen gewahrt wird. Deshalb sind die Wurzeln der gegenwärtigen Gewaltausbrüche in Ostturkestan in dem schon lange bestehenden Verlangen der Uiguren nach Selbstbestimmung zu suchen. Diese intensivierten ihren Kampf um Selbstbestimmung noch, seitdem die politische Unterdrückung durch die chinesischen Kommunisten, die kulturelle Assimilierung, die wirtschaftliche Ausbeutung, ökologische Zerstörung und rassische Diskriminierung in den letzten Jahren immer schlimmer wurden.

2. Chinesische Menschenrechtsübergriffe werden unerträglich

Heutzutage werden die grundlegenden individuellen Menschenrechte und Freiheiten der Uiguren, nämlich ihre bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Rechte fortwährend mit Füßen getreten. Darüber hinaus bedrohen die Bevölkerungsumlagerung, die erzwungene Geburtenkontrolle bei den uigurischen Frauen und die systematische Sinisierung der uigurischen literarischen Sprache die Existenz der Uiguren in ihrem Kern.
Um Ostturkestan vollständig in eine chinesische Provinz zu verwandeln, werden hier Millionen von Chinesen angesiedelt. Unter dem steten Einströmen der chinesischen Siedler nach Ostturkestan schweben die Uiguren in Gefahr, allmählich eine kleine Minderheit in ihrem eigenen Land zu werden, wodurch sie ihre kulturelle Identität nach und nach verlieren. Mit dieser Politik berauben die chinesischen Kommunisten die Uiguren nicht nur ihres Rechtes auf Selbstbestimmung, sondern sie verletzen auch das universell akzeptierte Völkerrecht, das die Verlagerung von Bürgern nach und von besetzten Gebieten untersagt.
Die stetig wachsende chinesische Bevölkerung hat den Uiguren Arbeitslosigkeit, Hunger und Armut beschert. Trotz des naturgegebenen Reichtums Ostturkestans leben die Uiguren immer noch auf einem Minimum-Existenz-Niveau, gerade 90$ Einkommen im Jahr. Gesunde Wälder werden niedergehauen, um Häuser ausschließlich für die chinesischen Neusiedler zu bauen, während Tausende von Uiguren in ihrem eigenen Land ohne ein Dach über dem Kopf schmachten. Trotz ihrer uralten Zivilisation, die so alt wie die der Chinesen ist, werden die Uiguren als yeman, was barbarisch bedeutet, als schmutzig, primitiv und rückständig verunglimpft.
Uiguren, die nichts als in Würde leben möchten, werden verhaftet, gefoltert und sogar hingerichtet. Nach einem Bericht von amnesty International vom 21. April 1999 wurden in den letzten Jahren Tausende von Uiguren in dem ganzen Land verhaftet. Sie werden oft der Folter unterworfen, wodurch einige physisch und mental zerbrochen sind. Amnesty International vermutet auch, daß die Todesstrafe umfassend in Ostturkestan eingesetzt wird, und die Anzahl der Todesurteile in dieser Region proportional höher als in dem übrigen China ist. Viele der Hingerichteten könnten auch Opfer von außergerichtlichen Hinrichtungen oder absichtlichen Tötungen durch die chinesischen Sicherheitskräfte in eigenwilliger Überschreitung der Schranken der Gesetze sein. Um den Massenhinrichtungen in Ostturkestan Einhalt zu gebieten, hat Amnesty International am 14. Jan. 1999 eine weltweite Urgent Action Kampagne gestartet.
Das Wall Street Journal vom 21. Okt. 1997 zitierte die Aussage eines Uiguren in Kashgar: „... So viele Chinesen kommen nach Xinjiang. Die Wirtschaft begünstigt derzeit nur noch die Chinesen. Diese haben all unsere Rohstoffe weggenommen und sie bekommen die guten Jobs. Uiguren haben keinen Arbeitsplatz, keine guten Wohnungen, viele müssen auf der Straße hausen. Die Leute sind arm und die Uiguren sind verbittert. Sie führen ein elendes Dasein. Die Chinesen haben ein gutes Leben, gutes Essen, hohe Häuser. Erdöl, Gold, Kohle, Baumwolle, alles gibt es in Xinjiang. Warum sind die Uiguren dann so arm? Die Uiguren müssen Chinesisch lernen, um vorwärtszukommen. Aber die Chinesen brauchen kein Uigurisch lernen. Viele Uiguren haben bereits ihre eigenen Bräuche verloren und sich den Chinesen angepaßt. Jetzt ist die Lage hoffnungslos geworden...“
Und Hoffnungslosigkeit führt leicht zu Gewalt. Weil nämlich eine hoffnungslose Person nichts mehr zu verlieren hat. Wegen ihrer Hoffnungslosigkeit, Frustrierung und Verzweiflung veranstalten die Uiguren heftige antichinesische Demonstrationen, bewaffnete Aufstände und sogar Bombenattentate. Sie greifen zur Gewalt, nicht weil ein Appell an die Vernunft kein Resultat mehr bringt, sondern eher, weil die eingedrungenen Kolonialherren keine Gerechtigkeit für die Nationalitäten, Völkerschaften und Minoritäten übrig haben. Und wo es keine Gerechtigkeit gibt, dort kommt es unvermeidlich zur Gewalt. Deshalb liegt die Verantwortung für die derzeitige Gewaltwelle in Ostturkestan bei den chinesischen Kommunisten, welche Gerechtigkeit versagen und selbst zu Gewalt greifen, um die Uiguren unter Kontrolle zu halten.
Darüber hinaus führte das Desinteresse der internationalen Gemeinschaft, ernsthaft auf den Groll, die Wünsche und die Forderungen der Uiguren in all diesen Jahren einzugehen, zu einer weiteren Eskalation der gegenwärtigen Gewalt in Ostturkestan.

3. Mangelnde Anteilnahme der Weltgemeinschaft

Schätzungsweise gibt es gegenwärtig mindestens 6.500 Ethnien, Völker und Minderheiten auf der Erde. Aber weniger als 200 sind in der UNO vertreten. Die Vereinten Nationen sind nämlich keine „Union der Nationen“, sondern eine „Union der Staaten“. Der Rest lebt innerhalb der Grenzen der derzeitigen Nationalstaaten, von dem sie einen freiwilligen oder unfreiwilligen Teil bilden. Diese nicht-repräsentierten Bevölkerungsgruppen, die um ihre grundlegenden Menschenrechte kämpfen, haben überhaupt keinen Schutz, haben kein internationales Forum, wo sie ihre Klagen, Wünsche und Bestrebungen zur Sprache bringen könnten, sie haben keinen Zugang zu den Vereinten Nationen. Auch andere staatsübergreifende Organisationen werden den nicht-anerkannten Volksgruppen verwehrt oder stark eingeschränkt. Viele Nationalstaaten, deren Hauptinteresse die Wahrung, Förderung und Vertretung der Interessen ihrer eigenen Bevölkerung ist, erfüllen ihre diesbezüglichen Pflichten nicht und betrachten die nichtvertretenen
Bevölkerungsgruppen meistens als ihre Feinde. Viele von ihnen anerkennen wiederum diese repressiven Staatsregierungen nicht als ihre rechtmäßigen Vertreter. Sehr oft haben die Staatsregierungen überhaupt keine Skrupel, alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um die nicht-anerkannten, unter ihrer Herrschaft wohnenden ethnischen Gruppen zu unterdrücken und unter Kontrolle zu halten. Der Mangel an Resonanz und das Nicht-Eingehen auf die Bedürfnisse und Aspirationen der rechtlosen Bevölkerungsgruppen läßt die Konflikte und Ausschreitungen dort ernsthaft eskalieren, wo rechtzeitige Abhilfe sie hätte verhindern können. Die Standardmechanismen der UNO und OSCE zur Verhinderung von Konflikten stehen den nicht-anerkannten Bevölkerungsgruppen im allgemeinen nicht zur Verfügung. Weiterhin steht die mangelnde politische Bereitschaft der Staatsregierungen, wenn es um Belange der nationalen Souveränität geht, präventiv zu handeln, den Maßnahmen, welche die UNO ergreifen könnte, im Wege. Nationale Souveränität ist eine schreckliche Barriere bei dem Schutz der Menschenrechte in der ganzen Welt.
Andererseits, wenn gewisse Großmächte, die einen immensen Einfluß bei dem Entscheidungsprozeß in der UNO ausüben, die Menschenrechte in irgendeinem bestimmten Land durchsetzen wollen, dann gibt es keine Kraft auf Erden, die sie aufhalten könnte. Diese Politik, die Menschenrechte in gewissen Situationen durchzusetzen und sie bei anderen zu ignorieren, stellt das eigentliche Problem dar. Mit diesem doppelten Standard ist noch weit schwieriger umzugehen, als mit dem Problem der nationalen Souveränität. Diese zweifache Richtschnur, die beim Schutz der Menschenrechte unter ähnlichen Gegebenheiten und ähnlichen Umständen angelegt wird, hat die Weltkörperschaft in einen Widerspruch versetzt. Als Folge davon haben viele nicht-anerkannte Volksgruppen ihren Glauben an das Vermögen der UNO, den Menschenrechtsstandard gerecht und fair anzuwenden, verloren. Sie sind zu dem Schluß gekommen, daß es keinen universalen Anwendungs- und Durchsetzungsmodus für Menschenrechte gibt, daß die UNO in ihrer Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen selektiv und voreingenommen ist und daß sie daher keine Glaubwürdigkeit und Integrität besitzt. Sie fühlen sich von der internationalen Gemeinschaft betrogen, verlassen und hintergangen. In ihrer Hoffnungslosigkeit, Zerschlagenheit und Verzweiflung rücken viele nichtanerkannte Volksgruppen mehr und mehr von dem Pfad der Gewaltlosigkeit ab, um die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf sich zu ziehen. Weil diese nämlich nur reagiert, wenn Gewalt eingesetzt wird. So sind in über 65 Ländern der Erde blutige Konflikte ausgebrochen.
Die Uiguren bilden keine Ausnahme. Im Verlauf der letzten 50 Jahre haben sie unablässig an die internationale Gemeinschaft appelliert, sie möge sich endlich ernsthaft mit ihren Beschwerden, Forderungen und Wünschen beschäftigen. Aber diese schenkte ihnen keine Achtung. Als Ergebnis geben die Uiguren nun allmählich den Weg der Gewaltlosigkeit auf, um die internationale Gemeinschaft auf sich aufmerksam zu machen.

4. Folgen einer Erhebung größeren Ausmaßes

Was auch immer der Grund sein mag, die derzeitige Gewaltwelle in Ostturkestan könnte zu nicht vorausschaubaren Folgen führen. Viele Sachverständige sind der Ansicht, daß den Uiguren gegenwärtig nur noch die Wahl bleibt zwischen nationaler Auslöschung durch eine allmähliche Assimilierung und einem Kampf auf Leben und Tod zur Verteidigung ihrer kulturellen identität. Wenn die Uiguren gezwungen werden, den heroischen Widerstand zu wählen und einen bewaffneten Volksaufstand zu organisieren, dann könnte dieser nicht nur zur Selbstvernichtung der Uiguren führen, sondern er könnte sich auch auf die Nachbarregionen wie Tibet, Innere Mongolei, Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan ausdehnen. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen:
Am 25. April 1996 brach antichinesischer Widerstand in Ostturkestan aus. Und am 7. Mai 1996 hörte man von Bombendetonationen in Tibet. Am 6. Juni kam es zu antichinesischen Demonstrationen in der Inneren Mongolei. Und am 25. Dez. 1996 explodierten Bomben in Tibet. Am 26. Dez. 1996 gab es mehrere Bombenattentate in Ostturkestan. Weiterhin schrieb Lu Fan Zhi, ein Mitglied der Pekinger Akademie der Wissenschaften in einem Artikel in Sing Tao Daily, der in Hongkong am 25. Mai 1992 veröffentlicht wurde: „... Der Fall Tibet ist weltweit bekannt... Aber sie sind isoliert in ihrer Separatistenbewegung. Obwohl der Fall Xinjiang nicht so bekannt ist, haben sie Millionen von Verwandten in den benachbarten zentralasiatischen Republiken, welche dieselbe Geschichte, Kultur, Sprache und Zivilisation mit ihnen teilen. Bei einer größeren Erhebung in Xinjiang könnten diese freiwillig herbeieilen, um ihre ethnischen Brüder zu unterstützen. Deshalb ist die Lage in Xinjiang bedrohlicher als die in Tibet...“
Das ist auch die Sorge der zentralasiatischen Regierungen. Sie fürchten, daß es beim Ausbruch eines größeren Konfliktes in Ostturkesten zur Überquerung von Zehntausenden von Kasachen, Kirgisen, Usbeken, Turkmenen und Tadshiken der Grenze nach Ostturkestan kommen könnte, um ihren volksmäßig verwandten Brüdern auf der anderen Seite zu helfen, wodurch die zentralasiatischen Republiken gegen ihren Willen in einen Konflikt mit China gestürzt würden. In den zentralasiatischen Republiken leben fast eine halbe Million Uiguren. Weiterhin ist Ostturkestan von Ländern wie Afghanistan, Tadshikistan und Kashmir umgeben, wo es immer wieder offene Konflikte gibt. Die unruhige Lage in diesen Nachbarländern schürt nur noch die schon bestehenden Spannungen in Ostturkestan und
könnte einen negativen Einfluß auf die ganze Region haben.
Die russische Presse, alarmiert von den Gewaltausbrüchen in Ostturkestan, ruft bereits die russische Regierung auf, zwischen den Uiguren und Peking zu einer Lösung der Differenzen durch friedlichen Dialog zu vermitteln. Die russische Regierung, welche die Entwicklung in Ostturkestan sehr genau verfolgt, fürchtet, daß die Gewalt dort auf die zentralasiatischen Republiken übergreifen könnte, die sie immer noch als ihr „Hinterland“ betrachtet.

5. Gewaltlosigkeit ist der einzige Weg

Trotz der gegenwärtigen Welle der Gewalt in Ostturkestan ist die überwiegende Mehrheit der zu Hause und im Ausland lebenden Uiguren immer noch entschlossen, ihr Ziel durch friedliche Mittel zu erlangen. Weil sie nämlich aus ihrer eigenen Geschichte gelernt haben, daß bewaffneter Widerstand zur Zerstörung von Völkern, denen geholfen würde, führt. Daher ist Gewaltfreiheit der einzige Weg, auf dem die Uiguren ihren Kampf führen können, ohne den chinesischen Kommunisten einen Vorwand zu ihrer Abschlachtung zu liefern. Die Uiguren begreifen, daß das Bestehen auf ihrem legalen Recht nicht zur Rechtfertigung von Terrorismus herangezogen werden darf. Aus dieser Gesinnung heraus gehören die Uiguren mit zu den Gründungsmitgliedern des „Verbandes der Völker Ostturkestans, Tibets und der Inneren Mongolei“ und der „Organisation der nicht-repräsentierten Nationen und Völker“ (UNPO), welche sich zum Ziel setzten, all jenen Völkern und Nationen, die Gewalt und Terrorismus erleiden müssen, eine Stimme in der Politik zu verschaffen.

6. Vorschläge

Um also die stetig wachsende Spannung in Ostturkestan zu entschärfen, um einem größeren Konflikt in Zentralasien vorzubeugen und um die Basis für zukünftige Beziehungen zu schaffen, möchte ich folgende Anregungen geben:

•Die Achtung für die Menschenrechte ist ein wesentliches Element bei der Konfliktvermeidung. Deshalb müssen die chinesischen kommunistischen Führer unverzüglich damit aufhören, die grundlegenden Menschenrechte der Uiguren zu verletzen. Die Ansichten Chinas über Menschenrechte sind höchst paradox: Ein kommunistisches Land predigt da die universelle Gültigkeit der marxistischen Prinzipien und weist gleichzeitig in heuchlerischer Weise die Grundsätze zurück, die zum Schutz der in Gefangenenlagern ausgenützten Arbeiter und zum Schutz der Rechte der einheimischen Dissidenten und der Bestrebungen der unter seiner Herrschaft wohnenden Uiguren, Tibeter und Inneren Mongolen beabsichtigt sind. Die kommunistische Führung Chinas muß die Tatsache einsehen, daß menschliche Wesen nicht auf immer unterdrückt werden können. Sie muß endlich begreifen, dass der Wunsch der Uiguren in Würde zu leben, nicht rücksichtslos zum Schweigen gebracht werden kann.

•Dialog ist die Grundlage für ein besseres Verständnis, für Kooperation und friedliche Koexistenz. Gegenseitiges Vertrauen kann sich nicht ohne Dialog entwickeln, und ohne Vertrauen kann es auch keine Veränderung auf friedlichem Wege geben. Die chinesische kommunistische Führung muß unverzüglich den Dialog mit den uigurischen Vertretern in ihrem Lande beginnen, um die wachsende Spannung in Ostturkestan friedlich und zur Zufriedenheit beider Seiten zu lösen. Heute ist der Dialog zwischen der chinesisch-kommunistischen Führung und den Uiguren lebenswichtig und notwendig geworden. Ein derartiger Dialog würde darüberhinaus einen starken positiven Impuls nicht nur für die Tibeter und die Mongolen der Inneren Mongolei, sondern auch für die Taiwanesen setzen.

•Die chinesische kommunistische Führung muß damit aufhören, Außenstehende für den Aufruhr in Ostturkestan verantwortlich zu machen. 1950 und danach gaben sie den „amerikanischen Papiertigern“ die Schuld, 1960 und 1970 beschuldigten sie die „Sowjetischen Hegemonisten“ und 1980 schoben sie die Schuld auf Isa Yusuf Alptekin, den verstorbenen Führer des ostturkestanischen Volkes, und jetzt machen sie die „Separatisten“ für die Unruhen in Ostturkestan verantwortlich. Die chinesischen Kommunisten müssen endlich einsehen, daß es ihre eigene ungerechte Herrschaft in Ostturkestan während der letzten 50 Jahre ist, die in erster Linie zu so vielen heftigen Demonstrationen, bewaffneten Ausschreitungen und sogar Bombenattentaten beitrug.

•Die demokratisch gesinnten Chinesen zu Hause und im Ausland müssen eine weltweite Kampagne starten, um Druck auf die chinesisch-kommunistische Führung auszuüben, daß sie die „ethnischen Säuberung“ an den Uiguren einstellt.
Diese „ethnische Säuberung“ an den Uiguren ist etwas Peinliches für demokratisch gesinnte chinesische Leute, die etwas auf ihre 5000-jährige Geschichte, Kultur und Zivilisation halten. Aus einer derartigen Unterstützung würden die Uiguren sehen, daß die demokratisch gesinnten Chinesen nicht nur für ein demokratisches China kämpfen, sondern daß sie gleichzeitig die Grundrechte respektieren, darunter auch das Recht der Uiguren auf Selbstbestimmung. Solch eine Unterstützung würde auch dazu helfen, die derzeitigen Feindseligkeiten zwischen gewöhnlichen Chinesen und Uiguren abzubauen und würde für unsere Völker zu Hause und im Ausland ein gutes Beispiel setzen, sich gegenseitig in ihren Anliegen zu helfen und beizustehen. Im Augenblick zeigen nämlich die meisten der demokratisch gesinnten Chinesen und der Uiguren sowohl im In- als auch im Ausland keine Unterstützung für einander. Sie sollten begreifen, daß ein demokratisiertes China ohne gegenseitiges Vertrauen, ohne Achtung und Kooperation zwischen den verschiedenen ethnischen, religiösen und linguistischen Gruppen zu blutigen Konflikten wie in Jugoslawien führen könnte. Die Grundlage für das gegenseitige Vertrauen, die Respektierung und Kooperation muß jetzt geschaffen werden.

•Schließlich müssen die internationale Gemeinschaft, die Staatsregierungen und die NGOs die chinesischkommunistische Führung beeinflussen und überzeugen, daß sie in einen Dialog mit den Vertretern von Ostturkestan treten muß, ehe es zu spät ist. Ein größerer Konflikt in Zentralasien ist auch nicht in ihrem Interesse. Sie müssen das unter den Bedrückten dieser Welt allgemein vorherrschende Gefühl, daß ihre Stimme nur Gehör findet, wenn sie durch die Methoden des internationalen Terrorismus verstärkt wird, umkehren. Sie müssen eine neue politische Entschlossenheit entwickeln, um die Grundursachen der Menschenrechtsverletzungen anzugehen. Heutzutage, wo Menschenrechtsbelange von den NGOs behandelt werden, bleiben diese meistens auf Beschwerden über Menschenrechtsmißbrauch in individuellen Fällen beschränkt. Das Problem der Gruppenrechte wird nur widerwillig aufgenommen. In vielen Fällen aber ist die Verletzung der individuellen Menschenrechte nur das Symptom eines tiefer liegenden Problems. Bis jetzt blieb dieses Problem ohne Lösungsversuch. Eine Ausnahme war der erfolgreiche Angriff auf das System der Apartheid. NGOs und viele Staatsregierungen klagten nicht nur über die Verletzung der Rechte des in Südafrika verhafteten, gefolterten oder hingerichteten Individuums, sondern sie nahmen vielmehr die Grundursache dieses Mißbrauchs in Angriff: das eigentliche System der Apartheid. Deshalb müssen die NGOs und die Staatsregierungen die Tatsache einsehen, daß der Kampf zum Schutz der Menschenrechte weltweit solange nicht gewonnen werden kann und blutige Konflikte nicht vermieden werden können, wie die Grundursachen dieser Menschenrechtsverletzungen nicht angegangen werden: die Verletzung des Rechtes der nicht-anerkannten Bevölkerungsgruppen zu überleben und ihr eigenes Schicksal zu bestimmen.

Meine Damen und Herren, Seine Heiligkeit der Dalai Lama, sagte einmal:

„Wir sind alle Glieder derselben Familie und wenn wir nicht einen Sinn für die universale Verantwortung entwickeln und lernen, uns gegenseitig als Brüder und Schwestern zu betrachten, dann kann es niemals Frieden auf Erden geben.“

Wenn wir wirklich Frieden wünschen, dann müssen wir dieses Verantwortungsbewußtsein jetzt entwickeln.
 

ETIC 1966 - 2003 © Uygur.Org  30/08/1999 16:22  A. Qaraqash