Rebiya Kadeer: „Jetzt zerstören
sie unsere Kultur“
Chinas „Staatsfeindin Nr. 1“
zur Lage der muslimischen Uiguren
in China
Rastlos unterwegs
für das uigurische Volk. (Foto:
Getty Images)
Florian Godovits
Epoch Times Deutschland
Ein warmes Lächeln strömt mir entgegen, dabei haben wir uns einander noch
gar nicht vorgestellt. Und eigentlich ist da auch noch ein anderer
Interviewtermin, der die volle Aufmerksamkeit bekommen müsste, doch das
scheint für einen Moment, in dem sich in ihrem jugendlich wirkenden Gesicht
ein freundliches Lächeln entfaltet, nicht wichtig - so lerne ich Rebiya
Kadeer, Vorsitzende des Uigurischen Weltkongresses, in Hamburg kennen. Kaum
zu glauben, dass diese 60-jährige Dame mit den dunkelgrauen Haaren, die
sauber zu zwei langen Zöpfen geflochten sind, Chinas Staatsfeindin Nr. 1
sein soll. Doch es ist so - diese so lebhaft, aber klar kontrolliert
gestikulierende Dame mit den verräterisch-schelmischen Lachfalten ist die
nach dem Dalai Lama wohl bekannteste Vertreterin einer in China
unterdrückten Nationalität - der Uiguren. Auf der Liste der Gesellschaft für
bedrohte Völker stehen die Uiguren weit oben. Im Oktober 1949 habe das
Leiden ihres Volkes begonnen, so Kadeer, als die Volksrepublik China in
Ostturkestan, der heutigen Autonomen Region Xinjiang, einmarschierte.
Ihr persönlicher Leidensweg begann erst später. Kadeer geriet bei der
KP-Führung in Ungnade, als sie 1997 eine Rede vor dem chinesischen
Volkskongress gab, in der sie die Politik der chinesischen Regierung in der
Provinz Xinjiang scharf verurteilte. Kurz darauf wurde sie aus dem
Volkskongress ausgeschlossen. Ebenfalls 1997 gründete sie die
„Tausend-Mütter-Bewegung", um die Rechte von Frauen und ihre
wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten zu fördern. Im Jahre 1999
verurteilte man sie wegen „Weiterverbreitung von Staatsgeheimnissen" zu acht
Jahren Gefängnis. 2004 wurde sie auf internationalen Druck hin vorzeitig
entlassen.
Im Epoch Times-Interview spricht die nach eigenen Angaben ehemals reichste
Frau Chinas, Mutter von elf Kindern und Bestsellerautorin („Die
Himmelsstürmerin") über die unverändert harte Vorgehensweise gegen Vertreter
ihres Volkes. Durch geplante Zuwanderung, Zwangsabtreibungen und neuerdings
auch durch die Ausrottung ihrer Kultur werde an den Uiguren ein von der
Weltöffentlichkeit nur wenig beachteter Völkermord begangen.
ETD: Frau Kadeer, wie geht es ihren Kindern, die in der Xinjiang-Region
geblieben sind?
Rebiya Kadeer: Zwei, die im Gefängnis sitzen, haben keine Möglichkeit, mit
ihrer Frau Kontakt aufzunehmen. Es gab bisher keine Möglichkeit, sie zu
besuchen. Drei stehen unter Hausarrest. Meine Verwandten und Freunde werden
beobachtet und haben Angst, Probleme zu bekommen. Meinen Bekannten in der
Heimat wurden die Pässe entzogen, damit sie nicht ausreisen können. Jemand,
der mich unterstützt hat, wurde von einem Auto angefahren. Ich glaube nicht,
dass das ein Zufall war. Die chinesische Regierung versucht, meine
Aktivitäten im Westen einzustellen, deshalb schreibt sie auch Briefe an die
Regierungen. So hat die chinesische Botschaft an alle europäischen
Parlamentarier Briefe geschrieben, keinen Kontakt mit mir aufzunehmen, da
ich ein Terrorist und Separatist sei. Sonst würde das die Beziehungen
stören. Auch in meinem Land haben sie Leute gekauft und gegen mich Aussagen
lassen und das im Internet-TV gesendet. Ist das die Arbeit, die ein ehrbarer
Staat macht? Ich bin kein Terrorist, der chinesische Staat ist der
Terrorist. Er ist es, der unschuldige Menschen ins Gefängnis steckt und
tötet - wer sonst sollte ein Terrorist sein? Ich bin fest davon überzeugt,
dass ich Recht habe, weil ich für Demokratie kämpfe, für Menschenrechte, ich
werde mich nicht einschüchtern lassen.
ETD: Was für ein Problem hat die chinesische Führung aus ihrer Sicht mit
den Uiguren?
Rebiya Kadeer: Die Kommunistische Partei will uns assimilieren, und wir
wehren uns dagegen - das ist das Hauptproblem. Die Chinesen sind
Chauvinisten, da wir eine eigene Kultur haben und mit einer eigenen
Identität existieren. Sie sind als Besatzungsmacht bei uns, haben das Land
1949 besetzt. Jetzt haben sie Angst, dass unser Anliegen ein Weltthema wird.
Man glaubt manchmal, die Chinesen wollen das Wort „Genozid" (Anm. d. Red.:
Völkermord) ganz aus dem Wörterbuch löschen, dann hätten sie Ruhe. Verstehen
Sie mich nicht falsch, wir haben nichts gegen die Chinesen, wenn wir in
Frieden und mit unserer eigenen Identität leben können. Seit 48 Jahren
versuchen die Uiguren, den Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen. Wir
haben nicht gegen das Gesetz verstoßen. Im Jahr 1954 haben sie unsere
reichen und intelligenten Leute mit der Beschuldigung, sie seien
Separatisten, fanatische Religionsanhänger etc., verhaftet. 1957 haben sie
alle unsere Intellektuellen mit der Beschuldigung, sie seien gegen das
kommunistische Regime, ins Gefängnis gesteckt. 1966 haben sie unsere
führenden Personen willkürlich festgenommen. Die Unterdrückung kam in drei
großen Wellen.
ETD: Die KPCh versucht, sich ein moderneres Image zu geben. Hat sich an der
Lage der Uiguren in den vergangenen Jahren etwas geändert?
Rebiya Kadeer: Die Politik gegenüber anderen hat sich vielleicht geändert,
gegenüber den Uiguren hat sich nichts geändert. Auch auf dem 17. Parteitag
nicht. Bis vor zehn Jahren haben sie versucht, uns nur mit anderen Mitteln
zu zerstören.
Jetzt greifen sie auch unsere Kultur an. Heute ist noch im Gang, dass sie
unsere Schrift und Sprache abschaffen wollen. Die Schulkinder werden nach
China zur Gehirnwäsche transferiert. Sie haben jetzt auch ein Auge auf
unsere Mädchen geworfen. Mädchen zwischen 14 und 25 Jahren werden ohne
Zustimmung ins Innere Chinas geschickt. Das ist ein großes Drama für uns,
sie müssen dort in Bars arbeiten und werden ins Schaufenster gestellt. Sie
wollen die Anzahl dieser Mädchen auf 1,2 Millionen erhöhen. Das ist eine Art
von schleichendem Genozid, dass sie uns unsere Mädchen wegnehmen. Auch die
Geburtenkontrolle, die Uiguren werden zur Zwangsabtreibung gezwungen.
Stattdessen bringen sie Han-Chinesen. Uiguren mit Uni-Abschluss bekommen
keine Arbeit. In der Verwaltung werden nur Han-Chinesen eingestellt. Als sie
uns 1949 besetzten, waren nur zwei Prozent Han-Chinesen, jetzt sind es über
60 Prozent.
Die ungeplante Zuwanderung führt auch zu Umweltschäden. Drei Seen sind
dadurch ausgetrocknet. Wir werden ausgebeutet, die Bodenschätze werden
ausgebeutet, wodurch auch die Umwelt gestört wird. Früher konnten Uiguren
zumindest in der Landwirtschaft arbeiten und so ihren Lebensunterhalt
bestreiten. Jetzt haben sie diese Möglichkeit nicht mehr, da so viele
Han-Chinesen zu uns gekommen sind. Gegen so große Unterdrückung wehren sich
die Leute.
ETD: Wie ist die Situation der Uiguren in den Arbeitslagern? Gibt es auch
hier Fälle, bei denen die Häftlinge für ihre Organe umgebracht wurden, wie
dies ein Bericht bei Falun Gong-Praktizierenden nahe legt?
Rebiya Kadeer: Das ist ein brennender Punkt. Im Jahr müssen Uiguren drei
Monate ins Arbeitslager, umsonst arbeiten. Auch Kinder, nicht nur
Erwachsene. Sie werden willkürlich festgenommen und bestraft. Den Verkauf
von Organen gibt es, aber wir haben keine Beweise dafür, deshalb möchte ich
darüber nicht viel sagen. Die Organe von Uiguren, die hingerichtet wurden,
werden nicht zurückgegeben. Was machen sie dann mit den Organen? Das ist
sehr selten, dass die Angehörigen eines politischen Gefangenen die Leiche
wieder zurückbekommen. Das kommt nur bei einem von tausend Fällen vor.
ETD: Wie ist der traditionelle uigurische Zugang bezüglich dieses Themas?
Rebiya Kadeer: Nach unserer Tradition ist die Bestattung eine heilige Sache,
solche Dinge, wie die Organe eines Toten zu verwenden, sind ein Tabu. Er
müsste nach unserer Tradition bestattet werden. Was kann man machen, wenn
die Soldaten die Leiche mitnehmen? Es gibt solche Fälle, dass wir die
Leichen überhaupt nicht zu sehen bekommen. Es wird dann gesagt, nein, das
können wir nicht erlauben, das war ein Regimekritiker. Bei
Zwangsabtreibungen wird oft gesagt, dass die Kinder tot auf die Welt
gekommen sind, aber was passiert mit diesen Organen?
ETD: Denken Sie, dass sich viele Medien von der chinesischen Führung
täuschen lassen? Viele berichteten, dass Staatschef Hu Jintao bei seiner
Rede am 17. Parteitag das Wort Demokratie 60 Mal verwendet haben soll.
Rebiya Kadeer: Die Reporter sollten zuerst beobachten, dann berichten. Sonst
sollten sie so trockene, seit Jahrzehnten zu hörende Aussagen nicht
verbreiten.
Wenn Hu von Demokratie redet, soll er sie auch in Gang setzen. Journalisten
freien Zugang in alle Gebiete Chinas ermöglichen. Er sollte Leute wie Chen
Guangcheng, solche politische Aktivisten, die nur wegen ihrer Äußerungen im
Gefängnis sitzen, freilassen. Er soll auch meine Kinder freilassen. Und
freien Zugang zu Tibet und Ostturkestan geben, damit die Journalisten sehen,
was dort los ist, und die Bevölkerung sich auch frei äußern lassen. Dann
sollte auch, vielleicht nicht so wie in Europa, aber zumindest ein Zehntel
der Demokratie wie hier in Europa sollte vorhanden sein. Und er sollte den
Journalisten der Welt freien Zugang gewähren, damit sie mit den Falun
Gong-Leuten reden können, mit der tibetischen Opposition, mit der
uigurischen Opposition, mit Demokratieaktivisten - und dann sollen sie
berichten, dass es Fortschritt gibt. Delegationen sollten von anderen
Ländern hingeschickt werden, ob das ein bisschen realisiert wird.
Vor den Olympischen Spielen wird alles versprochen, aber es sind keine
Schritte in diese Richtung gemacht worden. Die Weltmedien sollten sich nicht
ausnutzen lassen. Nichts ist besser geworden.
Wenn wirklich etwas in Richtung Demokratisierung gemacht worden wäre, hätten
sie den Empfang des Dalai Lama durch Angela Merkel begrüßen sollen. Wenn es
wirklich Demokratie geben würde, warum versucht man dann, meine Aktivitäten
einzustellen und verfolgt mich, schickt Briefe an alle möglichen offiziellen
Stellen? Wenn es Demokratie wäre, warum können Falun Gong-Leute ihre
Religion nicht ausüben? Wenn es Demokratie wäre, müssten sie akzeptieren,
dass sie am Tiananmen-Platz Fehler gemacht haben und sich gegenüber der Welt
entschuldigen. Die damals an der Macht waren, müsste man vor Gericht
stellen. Am 5. Februar 1997 wurden viele unserer Leute festgenommen, die
noch immer im Gefängnis sitzen. Wenn das alles gemacht wird, dann kann man
von Demokratie reden, dann wäre Demokratie glaubwürdig.
ETD: Wie sollte sich der Westen verhalten, die Wirtschaft hat doch starke
Interessen in China?
Rebiya Kadeer: Die europäischen Länder, die Länder im Westen und die Länder
mit Demokratie sollten jede Gelegenheit wahrnehmen, Druck auszuüben, sonst
wird diese Gefahr jeden Tag größer. China versucht, Länder zu unterstützen,
die ihre Bevölkerung unterdrücken, den Iran, Burma,... Deshalb muss man auch
die wirtschaftlichen Beziehungen von den Menschenrechten abhängig machen.
Die demokratischen Länder müssten auch bereit sein, Opfer zu bringen. Da
würden dann ja nicht nur die wirtschaftlichen Beziehungen Europas kaputt
gehen, das schadet ja auch China, deshalb sollte man auch Risiken eingehen
und Opfer bringen, dann sieht man, dass China nicht so stark ist, wie es von
außen aussieht. Die westlichen Länder sollten zusammenarbeiten. Wenn
Deutschland die Beziehungen abbricht, sollte auch Frankreich nicht mehr
Handel mit China treiben. Man sollte geschlossen eine Meinung vertreten.
Wenn Deutschland sich für Menschenrechte einsetzt und Frankreich und
Großbritannien nicht, dann bringt das nichts.
ETD: Warum ist China nicht so stark?
Rebiya Kadeer: China ist nicht so stark, wie Europa glaubt. Falls westliche
Firmen und Regierungen ihre Investitionen von China zurückziehen würden,
würde das der chinesischen Regierung viel mehr schaden. Es würden
Hunderttausende arbeitslos, das würde auch die Regierung schwächen. Die
Unruhe von innen würde das Regime unter Druck bringen. Die chinesische
Regierung nimmt zwei Wörter nur allzu gerne in den Mund: Frieden und
Solidarität. Aber diese zwei Wörter beruhen auf Gerechtigkeit und
Demokratie.
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http://www.epochtimes.de/articles/2007/10/23/185512.html
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