Signal für eine falsche Politik
DW 2002 - 08 -29
China hat sich mit den USA im
Kampf gegen den Terrorismus
solidarisch erklärt. Dafür sehen die
USA beim Kampf der Chinesen gegen
Minderheiten nicht so genau hin.
Zwei Supermächte sind sich einig,
meint Thomas Bärthlein.
Die Anschläge vom 11. September
vergangenen Jahres haben eine
Annäherung zwischen China und den
USA zur Folge gehabt. Die USA haben
zu verstehen gegeben, dass sie die
Unterdrückung von Minderheiten durch
die Chinesen nicht unbedingt an die
große Menschenrechtsglocke hängen
würden. Die chinesisch-amerikanische
Achse wurde durch den jüngsten
Besuch von US-Vizeaußenministers
Richard Armitage bekräftigt. Die
Chinesen kontrollieren ihre
Raketenexporte künftig strenger, die
USA setzen dafür eine
Separatistenbewegung namens
"Islamische Bewegung Ost-Turkestan"
auf ihre offizielle Liste
terroristischer Organisationen. Mit
dem Kampf gegen terroristischen
Islamismus hat das allerdings nichts
zu tun, denn die Freiheitsbewegung
vertritt das unterdrückte Volk der
Uighuren.
In der "Autonomen Region Xinjiang"
im Nordwesten Chinas gibt es unter
den Uighuren und anderen Turkvölkern
große Ressentiments gegen die
chinesische Führung. Das liegt
daran, dass seit den sechziger
Jahren Millionen von Chinesen nach
Xinjiang einwanderten, so dass die
Uighuren inzwischen an vielen Orten
in der Minderheit sind. Die Dominanz
der Chinesen auf allen Gebieten des
Lebens ist, wie im benachbarten
Tibet, erdrückend: Nicht Uighuren
bekommen die guten Jobs und
Führungspositionen in Xinjiang,
sondern Chinesen. Die uighurische
Sprache wird immer weiter
zurückgedrängt, zum Beispiel an den
Universitäten. Aus strategischen und
wirtschaftlichen Gründen – Xinjiang
verfügt über riesige Erdölvorkommen
und beherbergt das nukleare
Testareal Lop Nor – übt die
chinesische Zentralregierung eiserne
Kontrolle über die Region aus. Die
wirtschaftliche Erschließung des
Gebiets, etwa durch Fernstraßen, ist
allein diesen Interessen der
Zentrale untergeordnet und kommt nur
den Chinesen zugute.
Der Konflikt zwischen angestammter
Bevölkerung und den übermächtigen
Nachbarn aus dem Osten hat eine
jahrzehntelangen Geschichte. In den
dreißiger und später noch einmal in
den vierziger Jahren gab es in
Xinjiang eine unabhängige "Republik
Ostturkestan". Viele Uighuren mögen
auch heute wieder von einem eigenen
Staat träumen, besonders, seitdem
die benachbarten Turkvölker, die
Usbeken, Kasachen und Kirgisen, ihre
Unabhängigkeit von Moskau erreicht
haben. Und manche leisten auch
bewaffneten Widerstand gegen die
chinesische "Besatzung" – wie sie es
empfinden. In den späten neunziger
Jahre kam es zu einer Reihe von
Anschlägen, sogar in Peking, die
radikalen Separatisten zur Last
gelegt wurden.
Menschenrechtsorganisationen wiesen
auf die hohe Rate von Exekutionen
hin, die in Xinjiang an
Einheimischen verübt wurden.
Aber all das hat mit Kampf gegen
Islamismus praktisch nichts zu tun.
Der fundamentalistische Islam findet
unter den lebensfrohen Uighuren nur
wenig Zulauf. Dass man wie unter den
Taliban Alkohol und Musik verbieten
könnte und Männer und Frauen streng
trennen würde - so etwas wäre in
Xinjiang niemals durchzusetzen.
Chinas Minderheitenpolitik ist
gescheitert. Das ist das Problem in
Xinjiang genau so wie in Tibet, und
nicht der internationale
Terrorismus.
Menschenrechtsorganisationen haben
Zweifel daran angemeldet, dass es
die jetzt als "terroristisch"
eingestufte "Islamische Bewegung
Ost-Turkestan" in dieser Form
überhaupt gibt. Unabhängige Belege
dafür fehlen jedenfalls. Und selbst
wenn es durch die geografische Nähe
zu Afghanistan wahrscheinlich wäre,
dass Anhänger Bin Ladens auch in
Xinjiang aktiv sind: Diese Gruppen
dürften nur sehr klein sein. Selbst
die chinesischen Behörden legen Wert
darauf, die Gefahren des
"Terrorismus" in Xinjiang nicht in
zu grellen Farben zu malen:
Schließlich wollen sie ausländische
Investoren in den Westen des Landes
locken.
Die USA haben China mit der
Einstufung uighurischer Separatisten
als Terroristen ein diplomatisches
Geschenk gemacht. Dass
Vizeaußenminister Armitage
gleichzeitig die Einhaltung von
Minderheitenrechten angemahnt hat,
fällt daneben weniger stark ins
Gewicht. Nach dem 11. September 2001
hat Peking die politische und
kulturelle Repression in Xinjiang
deutlich verstärkt. Für diese
Politik hat Peking jetzt von
Washington die nachträgliche
Bestätigung erhalten. Man muss kein
Hellseher sein, um die
Radikalisierung des uighurischen
Widerstands vorherzusagen.
Thomas Bärthlein
DW 2003 - 12 - 17 |