Mittwoch 23. April 2003, 18:33 Uhr
Pekinger verlassen aus Furcht vor
SARS die Stadt
Peking/Toronto (Reuters) - Aus
Furcht vor der lebensgefährlichen
Lungenkrankheit SARS sind am
Mittwoch zahlreiche Chinesen in
Peking zu den Bahnhöfen geströmt, um
die Hauptstadt so schnell wie
möglich zu verlassen.
Nach dem Tod neun weiterer
Menschen sollen wegen der Krankheit
ab Donnerstag alle Schulen der
chinesischen Hauptstadt zwei Wochen
lang geschlossen bleiben. Auch in
Kanada erlag eine weitere Person der
Krankheit. Die Zahl der Toten stieg
hier auf 15. Die
Weltgesundheitsorganisation (WHO)
warnte vor Reisen nach Peking und
ins kanadische Toronto. Das
Auswärtige Amt in Berlin riet
ebenfalls von Reisen in dorthin ab.
Zugleich zeichneten sich die
wirtschaftlichen Folgen der
SARS-Ausbreitung immer klarer ab:
Die Welthandelsorganisation (WTO)
warnte, dass die Auswirkungen für
die chinesische Wirtschaft auch auf
die Weltkonjunktur durchschlagen
werden.
Zahlreiche Menschen warteten am
Morgen auf dem Vorplatz des Pekinger
Hauptbahnhofs, in der Hoffnung, noch
ein Zugticket
für eine Fahrt in ihre
Heimatprovinzen zu ergattern. Unter
ihnen waren zahlreiche Studenten und
Wanderarbeiter. Aus Furcht, sich mit
dem Schweren Akuten Atemwegsyndrom (SARS)
anzustecken, trugen fast alle
Atemschutzmasken. Viele mieden die
Warteräume und harrten Stunden lang
in der Kälte aus. "Mein Zug fährt
erst in sechs Stunden, aber ich
werde nicht drinnen warten", sagt
der 20-jährige Student Cao Shu.
Arbeiter versprühten an dem Bahnhof
ebenso wie an Flughäfen und
Busstationen Desinfektionsmittel, um
das Virus abzutöten.
In Peking wurden am Mittwoch 105
neue Fälle, landesweit 147 neue
Fälle gemeldet. Im gesamten Land
haben sich offiziellen Angaben
zufolge damit rund 2300 Menschen an
SARS angesteckt, die meisten davon
in der südchinesischen Provinz
Guangdong. Wie Hongkong und Singapur
Wochen zuvor entschloss sich die
Millionenstadt nun dazu, alle Grund-
und weiterführenden Schulen
vorübergehend zu schließen.
Schätzungen zufolge betrifft dies
1,7 Millionen Kinder. Der
Lehrbetrieb an einigen Hochschulen
wurde bereits vor zwei Tagen
eingestellt. In Hongkong stieg die
Zahl der SARS-Todesopfer am Mittwoch
auf 105.
In Kanada erlag
Gesundheitsbehörden zufolge am
Mittwoch ein 64-jähriger Mann der
Krankheit. Kanada ist bislang das
einzige Land außerhalb Asiens, in
dem Menschen an SARS gestorben sind.
In Deutschland werden derzeit zwei
Männer wegen des Verdachts auf eine
Infektion behandelt. Beide hatten
zuvor Reisen nach China unternommen.
Die Sterblichkeitsrate der
Krankheit, an der Menschen in mehr
als 20 Ländern erkrankt sind, wird
auf sechs Prozent geschätzt.
Wegen der Ausbreitung der
Krankheit empfahl die WHO, nach
Peking, in die südchinesische Stadt
Shanxi sowie in die
Wirtschaftsmetropole Toronto nur
noch zu reisen, wenn die Fahrt
zwingend nötig sei. Der Hinweis
gelte zunächst für drei Wochen,
sagte der WHO-Experte David Heymann
in Genf. Die Zeit entspricht der
doppelten Inkubationszeit der
Krankheit. Das Auswärtige Amt in
Berlin empfahl ebenfalls, diese
Reiseziele zu meiden.
INVESTMENTBANK: AUSFALL VON
FEIERTAGEN BELASTEN WIRTSCHAFT
"China ist ein großer Motor des
internationalen Handels. Wenn das
Wachstum in China dramatisch durch
SARS beeinträchtigt wird, würde das
auf den Rest der Welt zurückwirken",
sagte WTO-Volkswirt Michael Finger
in Genf. Den WTO-Zahlen zufolge hat
China seinen Handel im Jahr 2002 um
20 Prozent gesteigert.
Nach Einschätzung der
Investmentbank JP Morgan Chase
könnte die schnell wachsende
Wirtschaft Chinas als Folge im
laufenden Quartal um zwei Prozent im
Vergleich zum Vorquartal schrumpfen.
"Chinas Entscheidung, (wegen SARS)
die Ferien zum Tag der Arbeit (im
Mai) zu verkürzen, wird deutliche
Auswirkungen auf das
Wirtschaftswachstum im zweiten
Quartal 2003 haben", heißt es unter
anderem in einem Bericht der
Investmentbank. Die so genannte
"Goldene Woche" wurde 1999
eingeführt, um den Konsum in China
anzukurbeln.
Hongkong kündigte ein
Maßnahmenpaket in Höhe von rund 1,4
Milliarden Euro an, um seine durch
SARS geschwächte Wirtschaft zu
entlasten. Unter anderem soll es für
betroffene Firmen Kredite mit kurzen
Laufzeiten geben. Mieten in
staatlichen Gebäuden sowie Gebühren
und Abgaben für staatliche
Versorgungsdienstleistungen sollen
für drei Monate gesenkt werden.
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