China nutzt den Anti-Terror-Krieg
gegen Separatisten an der
Heimatfront
Unabhängigkeitsbestrebungen in
Xinjiang stören die Machthaber in
Peking
Von Sophie Mühlmann
Berlin - Beim Besuch des deutschen
Bundeskanzlers in China geht es vor
allem um die Wirtschaftsbeziehungen.
Doch daneben steht die Situation in
Afghanistan und die
Anti-Terror-Koalition im Mittelpunkt
der Gespräche. Die Volksrepublik
hatte den USA sehr schnell nach dem
11. September ihre Unterstützung
zugesagt. "Seite an Seite" werde man
mit Washington gegen den Terrorismus
kämpfen, hatte Außenminister Tang
versprochen. China nutzt die Chance,
sich als regionale Supermacht und
ernst zu nehmender Partner
internationaler Zusammenarbeit zu
präsentieren. Pekings traditioneller
Einfluss in Pakistan und sein Fundus
an Geheimdienstinformationen macht
das Land tatsächlich zu einem
nützlichen Partner der Koalition.
Peking wittert jedoch die
Gelegenheit, den internationalen
Feldzug gegen den Terror für die
eigene Heimatfront zu nutzen.
Terrorismus, hieß es aus China,
müsse zunächst definiert werden, und
Peking reichte seine Auffassung des
Wortes sogleich nach: Separatismus
gleich Terrorismus. Damit fielen -
neben den moslemischen Uiguren in
Chinas Nordwesten, die von
"Xinjiang-Separatisten" flugs in
"Ostturkestan-Terroristen" umgetauft
wurden - auch Tibet und sogar Taiwan
unter den Begriff. Bei all diesen
"Problemfällen" hofft Peking auf
Verständnis oder gar Unterstützung
des Westens.
Die eigenen Sicherheitsbestrebungen
Chinas sind jedoch verständlich.
Seit rund 20 Jahren wachsen in der
autonomen Region Xinjiang die
Unabhängigkeitsbestrebungen. Ein
Sechstel des chinesischen
Territoriums, in dem acht Millionen
Moslems leben, ist damit äußerst
instabil. Für China ist dies
besonders heikel, da sich hier die
größten Öl- und Gasvorkommen des
Landes befinden. Internationale
islamische Gruppen betreiben in der
Region Ausbildungslager. Auch die
Taliban haben ihre Hände im Spiel.
Sie unterstützen die
Unabhängigkeitsbewegung der Uiguren
mit Waffen und Drogenhandel - und
sie exportieren fundamentalistische
Ideen. Zudem sind die Grenzen nach
Afghanistan, Pakistan und den
Nachbarn in Zentralasien äußerst
durchlässig. China fürchtet, ein
Fluchtpunkt und Sammelbecken für
Terroristen zu werden.
Andererseits darf China es sich mit
den zentralasiatischen Republiken
nicht verderben, denn das Land
importiert seit rund zehn Jahren Öl
aus dem persischen Golf und seine
Energieversorgung ist von den
Pipelines abhängig, die durch die
Nachbarstaaten führen. Noch hat
China unter anderem durch seine
langjährige Unterstützung der
Palästinenser bei den islamischen
Staaten einen Bonus. Sollte der
Anti-Terror-Krieg als ein Kreuzzug
gegen den Islam verstanden werden,
könnte dieser Vertrauensvorsprung
schwinden und China könnte
langjährige Verbündete verlieren.
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