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Seit dem Beginn der Kulturrevolution (1966) häuften sich Berichte, daß die in Xinjiang stationierten Armeeverbände sich dem Kommando des seit 1958 amtierenden Verteidigungsministers Lin Biao, der den
»rechten« Peng Dehuai nach dessen politischer Auseinandersetzung mit Mao Zedongs Politik gestürzt und danach die Führung des »linken« KP-Flügels an sich gerissen hatte, nicht unterordnen wollten. Dazu hatten mehrere
Dinge beigetragen. Die in Xinjiang stationierten Verbände waren von den machtpolitischen Auseinandersetzungen in den chinesischen Kernlanden weit entfernt und wurden zum großen Teil von Offizieren kommandiert, die ihre
Karriere dem ersten Militärkommandeur der Region nach der Revolution, Peng Dehuai, verdankten. Der militärische Machthaber Wang Enmao gehörte definitiv auch nicht zur Lin-Biao-Fraktion und mußte 1968 deswegen seinen
Posten abgeben. Schließlich hatte Lin Biao zahlreiche politisch mißliebige Offiziere strafweise nach Xinjiang versetzt. Und die Militärs hatten schon mit der Durchsetzung eines gegenüber dem Radikalismus Lin Biaos
äußerst gemäßigt wirkenden Kurses erhebliche Schwierigkeiten gehabt. Im Januar 1967 lehnten sich zum Beispiel die Garnison und das Aufhaukorps (PAK) in der chinesischen Pionierstadt Shihezi offen gegen Befehle des
linken Partei- und Armeeflügels auf. Zudem war abermals — diesmal mit sowjetischer Unterstützung — bewaffneter Widerstand im chinesisch-sowjetischen Grenzgebiet aufgekommen; als Kommandeur wurde der in Alma Ata lebende
Zunun Taibow (eigentlich Teip) bekannt. Dieser, ursprünglich Geschäftsmann in Ürümqi, hatte sich 1944 dem Aufstand gegen die vorrevolutionäre chinesische Macht angeschlossen, war Regimentskommandeur geworden, hatte sich
der chinesischen Kommunistischen Partei angeschlossen und war 1962 desillusioniert in die Sowjetunion geflohen. Die in Xinjiang aktiven Militärs unterschätzten diese Aufstände gewiß nicht und ordneten ihnen im Kontext
der chinesisch-sowjetischen Spannungen eine überregionale Funktion zu; sie verstanden das öffentliche Wirken von Zunun Taibow als den Versuch, die Turkestaner gegen China zu revolutionieren und sich dabei der
allgemeinen kulturrevolutionären Unruhe zu bedienen. Ihre Strategie zur Landesverteidigung fußte zwar ebenso wie die des Lin-Biao-Flügels auf der maoistischen Volkskriegsstrategie, jedoch sahen sie nicht in
ideologischer Geschlossenheit das Mittel der Wahl, sondern in einer propagandistisch verwertbaren Nationalitätenpolitik, die sich vorteilhaft von der sowjetischen abheben sollte. Gerade als chinesische Nationalisten und
Kommunisten konnten sie eine scharf repressive »ultralinke« Politik nicht mittragen. Der von den Pekinger Linken verordneten ultrarepressiven Religionspolitik konnten sie sich andererseits nicht grundsätzlich
widersetzen, exekutierten sie aber hinhaltend, so daß der Anti-Islamismus, den in der Sowjetunion Parteichef Chruschtschow initiiert und sein Nachfolger Breschnew fortgesetzt hatte, radikaler als das chinesische
Vorgehen wirkte. An der Tatsache, daß in Xinjiang überhaupt eine repressive Nationalitäten- und Religionspolitik betrieben wurde, änderte dies freilich nichts. Wang Enmao verfügte über ein besonderes Druckmittel:
Xinjiang ist ein Zentrum der chinesischen Atomrüstung. Die strategischen Truppen unterstanden ihm zwar nicht, doch war ihr Kommando aus verschiedensten Gründen scharf gegen den ultralinken Kurs Lin Biaos. Wegen ihrer
erheblichen Bedeutung wurden sowohl die Kommandeure als auch die Truppen der Nuklearstreitmacht von allen kulturrevolutionären Experimenten ausgenommen. Wang Enmao hatte hier nicht nur Verbündete; er war auch für die
Logistik der Spezialeinheiten verantwortlich und hat dieses Druckmittel wenigstens einmal Anfang 1967 auch eingesetzt. Daraufhin entschied das »kulturrevolutionäre Zentrum« im Februar 1967, die Autonome Region Xinjiang
von der Kulturrevolution auszunehmen. Dieser Beschluß wurde auch nach der Amtsenthebung Wang Enmaos 1968 nicht umgestoßen. Eine Ausweitung des Widerstandes konnte so zumindest zeitweise vermieden werden. Der eher
zur chinesischen Linken zählende Vizepremier Chen Xilian san tionierte diesen gelinde abweichenden Kurs im Oktober 1975 ausdrückli durch seine Teilnahme an den Feiern zum 20. Jahrestag der Autonom Region in Ürümqi. Daß
sich Saifuddin während der gesamten »zehn chao' sehen Jahre« als Spitzenpolitiker in Xinjiang halten konnte, mag ein weiter Indiz sein. Saifuddin (geboren 1916) war in den dreißiger Jahren sowjetischer Staat bürger
und Mitglied der KPdSU geworden, wahrscheinlich während ein. zweijährigen Studiums in Moskau. Er spielte eine Rolle in der Regierung d Ostturkestanischen Republik und gehörte zu der Gruppe, die sich der Kon munistischen
Partei Chinas anschloß. An beiden Besuchen des KPCh-Che Mao Zedong in Moskau (1949 und 1957) nahm er teil. 1955 wurde er ersü Regierungschef der Autonomen Region Xinjiang und 1973 auch Parteiche seit 1969 gehörte er dem
Politbüro der KPCh als Mitglied ohne Stimmrecl (Kandidat) an. Von der kulturrevolutionären Fraktion hielt er sich feri übertraf allerdings zeitweise deren antisowjetische Rhetorik noch. Nach det Ende der
Kulturrevolution schloß er sich offenbar der »zentristischen« Kl Fraktion um Hua Guofeng an; jedenfalls beteiligte er sich 1976 sofort seh aktiv an der (letzten) Kampagne gegen Deng Xiaoping und ließ diese in Xin jiang
noch fortsetzen, als sie in Peking schon wieder eingestellt worden wai Das dürfte der Grund für seinen unvermuteten Sturz im Februar 1978 gewe sen sein; er wurde durch Wang Feng ersetzt, einen Han-Chinesen au Shaanxi
mit Geheimdienst-Hintergrund und Erfahrungen in der Nationali tätenpolitik, der 1966 von der kulturrevolutionären Linken gemaßregelt wor den war. Obwohl Xinjiang also einen gewissen Sonderweg gehen konnte, war dü
Repression scharf. Die Religion, das wichtigste Identifikationselement dei turksprachigen Bevölkerung, wurde als »feudales Relikt« rigoros unterdrückt. Den islamischen Landarbeitern, denen der Islam den Verzehr von
Schweinefleisch verbietet, wurden Produktionsauflagen wie im übrigen China gemacht — darunter Schweinezucht. |