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Der Machtwechsel geschah 1949 ziemlich rasch. Die Erste Routearmee, kom mandiert von dem späteren Verteidigungsminister Peng Dehuai, begant bereits im Februar 1949 die Besetzung Xinjiangs und bereitete
zudem det Flankenangriff gegen Tibet von Norden her vor. Burhan und der damaligi sowjetische Generalkonsul in Ürümqi, Alexander Semilow, übergaben an 26. 9. 1949 die Macht an Peng. Die sowjetischen Vertrauensleute
Kassimi Abbasow und Deli Khan weigerten sich jedoch, diesen Machtwechsel anzu· erkennen, wurden schließlich nach Alma Ata ausgeflogen und sollen zwe Tage darauf, am 17. 8. 1949 bei einem Flugzeugabsturz auf dem Wege
nacf Peking ums Leben gekommen sein. Burhan wurde am 17. 12. desselben Jah res in seinem Gouverneursamt bestätigt. Xinjiang wurde Teil des Militärbezirks Nordwest, dem kurze Zeit noch Peng Dehuai vorstand, bevor er
Oberkommandierender der chinesischen »Freiwilligenverbände« im Koreakriet wurde und danach 1953 Aufgaben in der engeren Führung in Peking übernahm (er trat acht Jahre später mit einer scharfen Kritik an der radikalen
und autokratischen Politik Mao Zedongs auf und verlor daraufhin alle Ämter). Entscheidende Funktionen übernahmen außer dem erwähnten Burhan Shahidi auch Wang Zhen, der anfangs (1950—1954) vor allem die militärische
Führung zugeteilt bekam, Wang Enmao, der jahrzehntelang bis zur Kulturrevolution — noch bis 1969 — und danach nochmals für ein halbes Jahrzehnt der faktische Herrscher über Xinjiang war, und Saifuddin Asisow (chinesisch
mit Sai Fuding oder Seipidin umschrieben). Wang Zhen, der wie Mao Zedong aus Hunan stammte, verfügte als einer der ersten Kommandeure revolutionärer Armeen auch über landwirtschaftliche Erfahrungen und richtete die
ersten »Produktions- und Aufbaukorps« (PAK) ein. Auch später wurde er immer wieder nach Xinjiang entsandt. Ihm folgte (bis zu seinem Sturz in der Kulturrevolution, 1968) der 1912 geborene Wang Enmao als militärischer
Oberkommandierender, während der Uigure Burhan auf den eher repräsentativen Posten des Gouverneurs und des politischen Verantwortlichen gesetzt wurde. Wang Enmao wird wegen seiner weitreichenden Kontakte in der Region
und seiner politischen Erfahrung als der im allgemeinen am wenigsten abgelehnte chinesische Funktionsträger gewertet; ihm wird nachgesagt, er habe Xinjiang oft vor den ärgsten Auswirkungen inner-chinesischer Kampagnen
bewahren können. Daß er immer im Rahmen der »Parteilinie« und der Nationalitätenpolitik der Volksrepublik gehandelt hat, ist dennoch keineswegs fraglich. Bei der Gründung der Autonomen Region Xinjiang-Uigur (1955)
übernahm dann Saifuddin (geboren 1916) das Gouverneursamt (»Vorsitzender der Volksregierung«). Saifuddin hatte sieh schon 1932 an einer uigurischen Rebellion, am Aufstand von 1944 im IliGebiet und an der Regierung der
Ostturkestanischen Republik und 1948 an den Vorbereitungen der Volksrepublik beteiligt und gehörte bereits vor deren Gründung am 1. 10. 1949 der Politischen Konsultativkonferenz an. In Xinjiang betätigte er sich als
Sachwalter der einheitsstaatlichen chinesischen Interessen. 1971 übernahm er die Parteiführung und den Vorsitz im Revolutionskomitee; er rückte auch in das Zentralkomitee der KPCh auf. Wang Enmao fiel der
kulturrevolutionären Säuberung zum Opfer, wurde aber später, wie erwähnt, mit dem Neuaufbau der Parteiorganisation in der Reform-phase beauftragt. Die Hoffnungen der einheimischen Politiker auf die von Sun Yatsen und
später von Mao Zedong versprochene Gleichheit der Nationen in China erwies sich bald an einem kleinen Beispiel als trügerisch. Diese Politiker hatten sich mit der Bitte an Peking gewandt, den aus imperialistischen
Zeiten stammenden Namen Xinjiang wieder aufzugeben und an seine Stelle den historischen Begriff Ostturkestan oder, als Hinweis auf die damals noch weit überwiegende Bevölkerungsgruppe, Uiguristan zu setzen. Der Bitte
wurde nicht entsprochen. Die erste Phase der nachrevolutionären Entwicklung dauerte bis 1951. In dieser Zeit wurden, mit dem Fortgang der Eroberung, in jedem »befreiten Kreis« und jeder »befreiten Stadt« militärische
Kontrollaussehüsse eingerichtet, aus denen nach kurzer Zeit eine Militärregierung hervorging. Peng Dehuai richtete rasch, schon am 18. 12. 1949, gemeinsam mit dem letzten Guomindang-Gouverneur, Zhang Zhizhong, eine
3lköpfige Zivilregierung unter dem Titel »Volksregierung der Provinz Xinjiang« ein, der außer Kommunisten auch Mitglieder der Regierung der ehemaligen Ostturkestanischen Republik (Saifuddin) und Guomindang-Vertreter
sowie neun Uiguren angehörten. Die politische Macht wurde indes nach Peng Dehuais Abberufung an die Korea-Front von den Han-Chinesen Wang Zhen und Wang Enmao sowie den uigurischen Kommunisten Burhan und Saifuddin
ausgeübt. Der bewaffnete Widerstand dauerte noch bis Mitte 1951. Sein Ausmaß geht aus Mitte 1951 in Ürümqi veröffentlichten Zahlen hervor, Danach wurden 72.705 Personen zwischen Anfang 1949 und Mitte 1951 zum Tode
verurteilt und hingerichtet, allein in Kaschgar bis September 1950 über 5.000. Nicht weniger als 150.000 Turkestanern gelang die Flucht nach Indien. Die zweite Phase, der Übergang von der militärisch bestimmten
Provinzregierung zur Autonomisierung, dauerte bis 1955. Die Kommunistische Partei von Xinjiang konstituierte sich im April und Mai 1951 und leitete bis 1952 den Aufbau eines Vorbereitungskomitees für die Autonome Region
ein, gliederte »Autonome Kreise« und »Autonome Bezirke« aus der allgemeinen Verwaltung aus, um einerseits den Minoritäten lokale Mitsprache zu gewähren, andererseits diese auf lokaler Ebene zu kontrollieren und
politisch zu integrieren. Das Ili-Kasachische Gebiet, Kernregion der ehemaligen Ostturkestanischen Republik, war einer der ersten dieser Bezirke. Bis April 1954 wurden sorgfältig vorbereitete Wahlen für den
Provinz-Volkskongreß von Xinjiang abgehalten. Eine Bodenreform wurde bis 1953 durchgeführt, Autonomieregelungen für die wichtigsten Minderheiten 1954 erlassen. Die Struktur der PAK wurde bis Ende 1954 kompletriert.
Die Landreform war radikal. Von 1949 bis 1953 wurde der Besitz der frommen Stiftungen (waqf), der für die Finanzierung der Moscheen unverzichtbar war, sozialisiert. Damit wurde den Moscheen, die bis dahin Träger der
Erziehung und des Sozialwesens waren, die Betätigungsmöglichkeit entzogen. Diese Begründung wurde auch amtlich gegeben; denn die »Vereinheitlichung der nationalen Erziehung« bedeutete gerade die Ausschaltung aller
nichtstaatlichen Träger aus dem Bildungswesen. Größerer Grundbesitz — je nach Bodengüte, Bewässerung und Höhenlage in schwankenden Höchst-grenzen — wurde enteignet und verteilt. Ehemalige Großgrundbesitzer wurden
nach der Enteignung durch Massenversammlungen »verurteilt« und erniedrigt, viele zu »Umerziehung durch Arbeit« in Zwangsarbeitslagern oder zu längerer Haft verurteilt. Darauf folgte eine rasche Kollektivierungskampagne
entsprechend der in den chinesischen Kernlanden. 95,9% der Bauernfamilien (die amtliche chinesische Statistik weist eine Gesamtzahl von 834.571 aus) waren bis Ende 1957 in 10.781 Kollektivwirtschaften zusammengefaßt,
die in der Volkskommunen-Bewegung des Jahres 1960 in 532 Volkskommunen (renmin gongshe) eingegliedert wurden. Zusätzlich entstanden 74 Staatsgüter und 146 Farmen der PAK, über die weiter oben berichtet wurde. Der
Einzelhandel wurde gleichfalls kollektiviert; die 1956 bestehenden 23.875 staatlichen und genossenschaftlichen Handelsbetriebe umfaßten 95,5% aller Unternehmen dieses Sektors, der sich bis 1950 fast ausschließlich in
der Hand kleiner Handwerker-Händler befunden hatte. Damit wurde das Rückgrat der jahrtausendealten traditionellen Wirtschaftsweise zerschlagen, die Basarökonomie. Wirtschaftlich hatte das alte System auf dem Ackerbau
in den Oasensiedlungen beruht; den einzelnen Bauern wurde alles, was den Eigenbedarf wesentlich überstieg, weggesteuert, so daß höchstens geheimes Thesaurieren, aber keinerlei Investition möglich war. Von der
Warenwirtschaft waren die landwirtschaftlichen Produzenten dadurch abgeschnitten. Den Schaf-und Kamel-Nomaden in den umliegenden Wüstensteppen — die als wichtigen Gewerbezweig Teppichknüpferei betrieben — war der Natur
ihrer Wirtschaftsweise nach ebenso der Zugang zur Kapitalbildung außer in Form von Herden, Schmuck, Teppichen und anderen Sachwerten versperrt. Die Ökonomie beruhte auf dem Basar, der Einheit von Handel und Handwerk im
Kleinunternehmen. Dies wurde indes von der Steuerlast ebenso gedrückt, so daß auch dort statt Investition Ihesaurierung die Regel war. Seidenherstellung, Handwerk in den Bereichen der qualifizierteren —
hochentwickelten — Metallbearbeitung (besonders Waffen, Goldschmuck und Kunstgewerbe), Teppich- und andere Textilproduktion in den Städten beruhten auf privaten kleinen Betrieben, die wenig Kapitalbedarf hatten,
hohe Spezialisierung aufwiesen und oft in einer Art Verlagssystem, meist aber im Rahmen der Basart72 Ökonomie produzierten. Es überwog darin das Preiswerk, die Produktion nicht auf Vorrat, sondern auf Angebot und
Bestellung. Rohmaterial wurde von den Handwerkern immer nur für die laufenden Aufträge erworben, weil Lagerhaltung stets mit dem Risiko der steuerlichen Konfiskation verbunden war. Massenproduktion war in diesem
Zusammenhang so gut wie ausgeschlossen; Preiswerk bedeutet stets die Fertigung von Einzelstücken und läßt eine weiterreichende Arbeitsteilung eigentlich nicht zu. Deshalb blieb Kapitalinvestition in Manufakturen die
absolute Ausnahme; nur in der Waffen-fertigung und in sehr wenigen Betrieben, die in der Regel der lokalen Herrscherschicht gehörten, waren Ansätze dazu vorhanden. Außerdem erschwerte verbreiteter Wucher erstens durch
Zinsen (obwohl nach dem islamischen Recht verboten; sie wurden oft in Sachwerten entrichtet), zweitens durch Agiotage die Kapitalbildung; keiner der Staaten verzichtete auf eine eigene Währung, und auch alle anderen
Geldsysteme Asiens waren in den Märkten und den Buden der Wechsler in Kaschgar, Khotan oder Ürümqi vertreten. Ein besonderes Kapitel der Sozialordnung war die Struktur der Familien, den Grundzellen der
basarwirtschaftlichen Produktion. »So sehr untersteht die Familie der potestas des pater familias, daß sie geradezu dessen Privateigentum wird«, urteilte der Wirtschaftswissenschaftler Reinhard Junge anhand der von ihm
1915 untersuchten Verhältnisse im westlichen (russischen) Turkestan, die sich von denen im östlichen Turkestan nur gering unterschieden. Die Frauen seien »rechtlich nahezu wirtschaftliches Gut, über das der Vater
selbst noch nach der Verheiratung der Tochter Verfügungsgewalt behält«. Ehen wurden früh geschlossen (Jungen mit 13 bis 15, Mädchen mit 11 bis 13 Jahren). Entscheidend für die Agrarproduktion wie für die Versorgung
der Städte waren die Wasserrechte, die bis zum Ende der Khanate von Europäern nicht ausreichend erforscht worden waren. Die ländliche Produktion wurde in mehrere Generationen umfassenden Gemeinschaften (mahakja)
organisiert und vom Grundsatz der Nachbarschaftshilfe (hodschar) geprägt. Das Land war — sofern nicht Stiftungsland (waqJ) — Eigentum der vom Landesherrn vertretenen Gesellschaft. Dem Landesherrn und seinen Vertretern
wurden hohe Anteile der Ernte von den Gemeinschaften als Naturalsteuer entrichtet, wofür die Ältesten (aksakal) verantwortlich waren. Das Steuersystem beruhte auf dem islamischen Recht (schariat) und der Steuerpacht.
Der Herrscher hatte Anspruch auf ein Zehntel der Erträge an Naturalien, das an örtliche Würdenträger zu entrichten war; daraus wurden alle öffentlichen Ausgaben der jeweiligen Region bestritten. Eine fixe Summe
mußte als Pacht für den Steuerbezirk an den Herrscher abgeliefert werden. Für die Eintreibung der Steuern hatte der Pächter unbeschränkte Vollmachten, konnte zum Beispiel das Einbringen der Ernte verbieten, bis ihm
Zahlung zugesichert war, oder auch Konfiskationen vornehmen. Für die Anzeige nicht angegebener Einnahmen wurden hohe Belohnungen gezahlt so daß Denunziation und Korruption üblich waren. Gewisse Produkte unter. lagen
einem willkürlich festgesetzten Monopol. Zudem war Fronarbeit zt leisten, z. B. für Bewässerungsarbeiten und öffentliche oder herrscherlichc Bauten. Stiftungsbesitz (waqf) war der Besteuerung und der Pflicht zu
Fron-arbeiten entzogen; so waren Häuser steuerfrei, wenn die Mieteinnahmen auch nur eines Zimmers einer Stiftung zukamen. Der waqf-Besitz, aus dem Moscheen, Mekteben, Medressen usw. finanziert wurden, nahm einen
beträchtlichen Anteil des Wirtschaftsvermögens ein. Dieses System war gewiß dringend reformbedürftig; doch wirkte die schematische Übertragung der chinesischen Reformen (die auch dort ideologisch und nicht primär
ökonomisch motiviert waren) schon bis 1955 verheerend. Die Nahrungsmittel-produktion wuchs jedenfalls nicht schneller als die Bevölkerung; 1949 wurde eine Getreideernte von 1,1 Millionen Tonnen gemeldet, 1953 nannte die
chinesische Presse die Menge von 1,6 Millionen Tonnen. Danach wurden nur noch Prozentzahlen genannt, aus denen sich immerhin errechnen läßt, daß unmittelbar vor der Kulturrevolution pro Kopf und Jahr brutto 500 kg
Getreide eingebracht wurden, nach Abzug des Saatguts und der bei der Verarbeitung entstehenden Verluste nicht mehr als 340 kg pro Kopf und Jahr. Der Zuwachs (auf die errechneten 3,5 Millionen Tonnen 1965) würde etwa der
Ausdehnung der Anbaufläche entsprechen; da keine weiterreichende Mechanisierung und sonstige Intensivierung gemeldet wurde, also lediglich extensives Wachstum bei etwa gleichbleibenden Hektarerträgen angenommen werden
muß, ist die Schätzung auch in diesem Zusammenhang plausibel. Zudem liegt nahe, daß die auf der Arbeit Verurteilter und Zwangsrekrutierter sowie »Umzuerziehender« beruhende Wirtschaft der PAKs kaum in der Lage war,
höhere Produktivitätsgrade als die übrigen Sektoren zu entwickeln. In dieser Zeit überwog anfänglich noch der sowjetische Einfluß den chinesischen, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Schon vor der Gründung der
Volksrepublik hatte sich die Sowjetunion durch Verträge — mit dem Gouverneur Burhan und seiner Regierung — erhebliche ökonomische Vorrechte gesichert. 1950 gründeten China und die Sowjetunion zwei Gemeinsame
Gesellschaften für die Erschließung von Erdölvorkommen und von Buntmetallen, die 30 Jahre lang bestehen sollten, Ende 1954 aber von China aufgekündigt wurden. Militärisch blieb die Sowjetunion auch über diesen Termin
hinaus in den Grenzgebieten von Kuldscha (Ili), Altai und Tarbagatai präsent. Ein Eisenbahnabkommen wurde am 12. 10. 1954 unterzeichnet; es sah den Bau einer Linie Lanzhou — Ürümqi — Aktogai — Alma Ata (»Weg der ewigen
Völkerfreundschaft«) vor. Das sowjetische Teilstück wurde bereits 1960 bis Aktogai fertiggestellt, die chinesische Linie erreichte nach raschem Ausbau bis 1960 Ürümqi. Das Schulwesen war bis wenigstens 1955 sowjeLisch
geprägt; die Schulbücher stammten (auch wegen chinesischer Produktionsschwierigkeiten) ausschließlich aus den turkestanischen Sowj etrepubliken. 1954 wurde versuchsweise die arabische Schrift durch die kyrillische
ersetzt, doch blieb es bei diesem Versuch; 1958 wurde erstmals die Latinisierung der Turksprachen Xinjiangs erörtert. China führte 1960 bis 1962 verbindlich die Lateinschrift mit den Lautwerten der chinesischen
Hochsprache ein, ergänzt durch einige Sonderzeichen für türkische Vokale. Schon bis 1965 sollen über 20.000 Lehrer in der Lateinschrift ausgebildet worden sein, die bereits von 600.000 Grundschülern und 200.000
Erwachsenen beherrscht werde, hieß es 1965 in Peking. 1976 wurde die arabische Schrift völlig abgeschafft, 1981 jedoch wieder zugelassen und 1982 verbindlich wieder eingeführt. Der Ständige Ausschuß des Volkskongresses
von Xinjiang erklärte in diesem Zusammenhang, die meisten Uiguren und Kasachen hätten die neue Schrift nicht übernommen, und die Voraussetzungen zur Verwendung beider Formen nebeneinander seien »noch nicht
herangereift«. Die dritte Phase bedeutete den Abschluß der politischen Umgestaltung. Die Uigurische Autonome Region Xinjiang wurde am 1. 10. 1955 ausgerufen (Parteichef — seit 1952 und bis 1968 — Wang Enmao,
Gouverneur Saifuddin). Nun setzte auch die massive landwirtschaftliche Erschließung der Turim-Region mit den bekannten ökologischen Folgen systematisch ein. Die sowjetische Position, durch bilaterale Handelsverträge
zunächst überwältigend stark, wurde ab 1955 völlig abgebaut. Die Nationalitätenpolitik hielt sich andererseits an das sowjetische Beispiel. Hatte bisher eine Identifikation nur nach religiöser, nicht aber nach
ethnischer Zugehörigkeit, Sprache, Lebensweise usw. stattgefunden, so wurden nun »zur Förderung und Entwicklung der Nationalitäten und der Minderheiten« ethnische und linguistische Differenzen besonders betont und durch
die Einrichtung eigener Bezirke für nunmehr 13 verschiedene Nationalitäten administrativ festgeschrieben. Doch knüpfte die Kommunistische Partei auch an Pläne des Gouverneurs Sheng Shicai von 1953 an, der bereits die
Differenzierung zwischen Uiguren, Kasachen, Kirgisen, Hui, Mongolen usw. hatte vorantreiben wollen, damals jedoch noch erfolglos. Sheng hatte Xinjiang als »lebendes ethnographisches Museum« betrachtet. Die neue
Nationalitätenpolitik hatte vor allem den Zweck, das Wiederentstehen eines ostturkestanischen Bewußtseins zu unterbinden und die Herrschaft durch Zersplitterung zu sichern. Im Gegensatz zu Äußerungen Mao Zedongs, der
1931 das Selbstbestimmungsrecht der Nationalitäten bis hin zum Recht der Sezession aus dem chinesischen Staatsverband proklamiert hatte, wurde nun sämtlichen Nationalitäten nur mehr ein unterschiedlicher »Farbton« im
»einheitlichen Nationalitätenstaat« zugestanden. Darüber hinaus galt alles als »lokaler Nationalismus«, gegen den u.a. Saifuddin in den Jahren 1957 und 1958 mehrfach zu Felde zog. Schon 1956 hatte er bemängelt, daß
uigurische Genossen der chinesischen Sprache nicht hinreichend mächtig und dadurch vom Zugang zu höherer Bildung ausgeschlossen seien, woraus hervorgeht, daß Hochsehulbildung in chinesischer und nicht einer
einheimischen Sprache vermittelt wurde, und 1957 über die Widerstände der Uiguren gegen die chinesische Politik berichtet: Sie sähen die nationale Existenz durch die chinesische Zuwanderung gefährdet (das Verschwinden
der einzelnen Nationalitäten bleibe das Ziel der Partei, doch sei dies erst in ferner Zukunft zu erwarten); chinesische Kader beherrschten die Politik der Region (wo es doch zahlreiche einheimische Kader auf den unteren
Ebenen gebe); Separatismus bestehe weiter (obwohl die Region doch jetzt eine Volksregierung habe). Ende 1957 wurden fünf führende uigurische Kader »weggesäubert«, darunter der Bürgermeister von Ürümqi, Ah Saidi. |