Peking (taz) - Für
chinesische Zeitungsleser sind dies dramatische Tage. Egal ob in Peking, Hongkong und
Taipeh - überall ist auf den Titelseiten von Krieg die Rede. "Die militärische
Mobilisierung ist abgeschlossen. China ist zum Angriff auf Taiwan bereit", trompetet
ein staatsgelenktes Pekinger Boulevardblatt. Und auch auf Regierungsebene werden die
Zähne gefletscht: Mitte der Woche hatte der taiwanische Staatpräsident Lee Tenghui sein
Interesse für ein neues Raketenabwehrsystem angemeldet. Am Donnerstag antwortete der
chinesische Botschafter in Washington mit einer seltenen Pressekonferenz: "Wir
stellen uns darauf ein, eine mögliche Unabhängigkeit Taiwans sofort zu stoppen",
sagte Botschafter Li Zhaoxing. Und: "Die Anwendung von Gewalt können wir nicht
ausschließen."
Doch was wie gefährliches Säbelrasseln
klingt, erzeugt in Peking wenig Nervosität. Die Bevölkerung versteht es ohnehin, die
staatlichen Medien nicht beim Wort zu nehmen. Und hohe Führungskader, die in dieser Woche
von den alljährlichen Strategiegesprächen mit der obersten Parteiführung aus dem
Badeort Beidaihe zurückkehren, verstreuen eine beruhigende Botschaft: Die Partei denke
gar nicht an einen Krieg mit Taiwan. Im Zentrum der chinesischen Politik stehe wie eh und
je die Reform der Wirtschaft.
Zuletzt hatten viele westliche Beobachter
einen anderen Eindruck bekommen. Premierminister Zhu Rongji schien nach dem Nato-Angriff
auf die chinesische Botschaft in Belgrad ein angeschlagener Mann zu sein. Erst beherrschte
der Protest gegen die Nato-Bomben und der Kosovo-Streit im Weltsicherheitsrat die
politische Szene in Peking, dann war es die Ankündigung des taiwanischen Präsidenten, in
Zukunft nur noch von Staat zu Staat mit der Volksrepublik zu reden. Beides unterhöhlte
die Prämissen der Pekinger Außenpolitik: Öffnung zum Westen und nationale
Zusammenführung mit Hongkong, Macau und langfristig auch Taiwan.
Glaubt man den Berichten aus Beidaihe,
dann will die Pekinger Führung nun auf sanftem Weg zu ihren alten außenpolitischen
Zielen zurückfinden. Anscheinend hat man anerkannt, dass die Nato-Staaten am Ende des
Kosovokrieges den Weg zurück in den Weltsicherheitsrat fanden. Auch zeigt sich die
Wirkung einer Washingtoner Diplomatie, die in den Sommerwochen leise, aber beständig
beteuerte, dass der Kosovokrieg mit seiner Formel "Menschenrecht bricht
Völkerrecht" keinesfalls einen Präzedenzfall für Asien geschaffen hat. Ebensosehr
würdigt Peking heute die zurückhaltende Reaktion der USA auf die Vorstöße Lee Tenghuis
nach einer chinesischen Zweistaatlichkeit. Zwar ärgert man sich über die fortlaufenden
Waffenlieferungen aus den USA an Taiwan. US-Außenamtssprecher James Rubin wollte am
Donnerstag auch die Lieferung eines neuen Raketenabwehrsystems an Taipeh nicht
ausschließen. Im Kern aber geht es Peking vor allem um das Festhalten der USA an ihrer
"Ein-China-Politik", die Taiwan nicht als unabhängigen Staat anerkennt. Über
diesen Punkt lässt Washington ebenso wie die anderen westlichen Hauptstädte bisher keine
Zweifel aufkommen.
Vielleicht sind es die Wirtschaftszahlen,
die Peking belehren, auf antiwestliche Kampagnen wie nach dem Botschaftsbombardement zu
verzichten: Neuinvestitionen ausländischer Unternehmen, die China dringend benötigt,
sind nach Angaben des chinesischen Außenhandelsministeriums in den ersten sieben Monaten
des Jahres um 20 Prozent gefallen. Da liegt der Gedanke nicht fern, den während des
Kosovokrieges auf Eis gelegten Plan zum Beitritt in die Welthandelsorganisation (WTO) neu
zu beleben. Erst wenn es soweit kommt, weiß man auch, ob Zhu Rongji in Peking wieder das
Kommando übernommen hat.
Kommentar Seite 12
taz Nr. 5918 vom 21.8.1999 Seite 10 Ausland 114 Zeilen
TAZ-Bericht Georg Blume