Schröders China-Reise wird vom Nato-Debakel auf dem Balkan überschattet KOMMENTAR von Doris Götting Es dürfte ein reichlich verlegener Gerhard Schröder sein, der am kommenden Mittwoch in Peking aus dem Flugzeug klettern wird. Als erster Regierungschef eines Nato-Landes, der nach der versehentlichen Bombardierung der Botschaft Chinas in Belgrad chinesischen Boden betreten wird, muß der Bundeskanzler mit einem frostigen Empfang, womöglich auch mit Protesten rechnen. Man wird ihn spüren lassen, wieviel politisches Porzellan durch diese eklatante Dummheit der westlichen Militärstrategen zerschlagen wurde, wie schwer es wieder zu kitten sein wird. Insofern war es wohl unvermeidlich, diese seit langem vorbereitete Visite zu einem reinen Arbeitsbesuch herabzustufen, nur noch mit kleinem Gefolge, das heißt ohne die Wirtschaftsdelegation anzureisen und den Abstecher nach Shanghai ganz fallenzulassen. China kann sich in seiner entschiedenen Ablehnung der Nato-Aktion auf dem Balkan nur bestätigt fühlen. Hoffentlich ist es nicht vergebliche Liebesmüh', wenn der Bundeskanzler nun versucht, seine chinesischen Gesprächspartner vom Sinn und Zweck eines militärischen Unternehmens zu überzeugen, dessen politische Zielsetzung - die Beendigung eines ethnischen Konflikts - sie zu besorgten Analogieschlüssen in Bezug auf ihre eigene Politik gegenüber ethnischen Minderheiten veranlaßte. In den Augen Pekings hat die Nato ohnehin längst ihr Gesicht verloren. Zweifel sind angebracht, daß es Schröder gelingen könnte, die Chinesen dazu zu gewinnen, die G-8-Vereinbarung vom vergangenen Freitag im Weltsicherheitsrat mit zu unterstützen. Immerhin kann er noch abwarten, was Rußlands Balkan-Emissär Viktor Tschernomyrdin in Peking auszurichten vermag. Im März hatte Chinas Außenminister Tang Jiaxuan bei seinem Deutschlandbesuch zwar noch betont, die Kosovo-Krise werde keine negativen Auswirkungen auf Chinas Beziehungen zu Westeuropa haben. Dies würde er aber heute vermutlich so nicht wiederholen - es sei denn in der Absicht, einen Keil zwischen die USA und die übrigen Nato-Partner zu treiben. Schröder begibt sich auf glattes Parkett; Vorsicht ist also geboten. Die Entwicklungen in Jugoslawien und die dadurch mitbedingte rapide Verschlechterung des chinesisch-amerikanischen Verhältnisses werden sich zwangsläufig belastend auf die Gesprächsthemen auswirken, deretwegen Schröder eigentlich, dazu in doppelter Funktion - als Bundeskanzler und als derzeitiger EU-Ratspräsident - nach China reisen wollte. Zum einen sollte es bei diesem Antrittsbesuch des Nachfolgers von Helmut Kohl darum gehen, die Kontinuität der deutschen China-Politik zum Ausdruck zu bringen. Trotz gelegentlicher Verstimmungen und atmosphärischer Störungen im Zusammenhang mit deutschen Protesten gegen Menschenrechtsverletzungen und der deutschen Medien-Berichterstattung über China herrschte bislang ein Klima des Vertrauens, das vor allem den Aktivitäten der deutschen Wirtschaft zugutekam. Oft genug bis an die Grenze der Sturheit hatte Helmut Kohl Proteste der deutschen Öffentlichkeit gegen seinen industriefreundlichen China-Kurs ignoriert. Seit Gerhard Schröder Bundeskanzler ist, herrscht auf chinesischer Seite Irritation über den neuen Stil in der deutschen China-Politik. Außenminister Joschka Fischer scheute sich nicht, Chinas prominentesten Exil-Oppositionellen Wei Jingsheng offiziell zu einem Gespräch zu empfangen und Menschenrechtsverletzungen in China anzuprangern. Auch Fischers Protest gegen die Ausweisung des "Spiegel"-Korrespondenten Jürgen Kremb Anfang dieses Jahres rief bei der chinesischen Führung Befremden hervor. Selbst wenn der Bundeskanzler, wie Menschenrechtsgruppen und Exil-Tibeter in Deutschland von ihm erwarten, das Thema Menschenrechte zu Sprache bringen sollte - er wird zur Zeit kaum offene Ohren dafür finden. Die chinesische Seite dürfte seit dem vergangenen Wochenende noch allergischer reagieren, als sie dies ohnehin schon tut, wenn die Rede auf diesen heiklen Punkt kommt. Sie ist außerdem nervös angesichts des bevorstehenden zehnten Jahrestags der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung. So wird dem Bundeskanzler bei seinem vom der Blamage von Belgrad beeinträchtigten Besuch kaum etwas anderes übrigbleiben als sich auf die Dinge zu konzentrieren, bei denen die Gemeinsamkeiten überwiegen. Und das ist in erster Linie die wirtschaftliche Zusammenarbeit, auf der bilateralen wie auf der europäisch-chinesischen Ebene. In der Einführung des Euro etwa sehen die Chinesen viel Positives. Zum einen erwarten sie eine Stärkung Europas gegenüber der Handelsmacht USA, zum anderen eine Intensivierung ihrer eigenen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit Brüssel. FOCUS 11.05.99 |