Jiang Zemin verliert die Nerven

Chinas Staats- und Parteichef brüskiert Schweizer Gastgeber, weil sie ihm nicht den Anblick von Demonstranten ersparen

Berlin (taz) - Beleidigt und beleidigend hat Chinas Präsident Jiang Zemin bei seinem ersten Staatsbesuch in der Schweiz reagiert, als ihn die dortige Regierung nicht vor Demonstranten verschonte. Als am Donnerstag in Bern die Schweizer Bundespräsidentin und der Bundesrat den hohen Besuch aus Peking empfangen wollten, ließ der Mann aus China die Gastgeber zunächst eine halbe Stunde warten, um dann den vorgesehenen Empfang mit militärischen Ehren platzen zu lassen. Auf dem Dach eines gegenüberliegenden Bankgebäudes hatten sich Demonstranten plaziert, die Chinas KP-Chef mit Transparenten zum Dialog mit dem Dalai Lama, dem religiösen Oberhaupt der Tibeter, aufforderten. Andere Demonstranten hatten sich unter die Schaulustigen auf dem Bundesplatz gemischt und brachten ihren Protest akustisch zum Ausdruck.

Während die Schweizer Behörden eine Räumung des Daches als zu gefährlich erachteten, werteten Jiangs Sicherheitsbeamte die Dachdemonstration als Sicherheitsrisiko für ihren Staatschef. Später platzte Jiang dann gegenüber seinen Gastgebern der Kragen. Er drohte mehrfach mit einem Abbruch des Besuchs und warf den Schweizer Politikern nach Angaben eines offiziellen Übersetzers vor, sie seien offenbar nicht in der Lage, ihr Land zu führen. "Die Schweiz hat einen guten Freund verloren", so Jiang laut Übersetzer. Nach Angaben anderer Übersetzer soll er nur gedroht haben, daß die Schweiz einen Freund verlieren könne.

Jiang warf Bundespräsidentin Ruth Dreifuss vor, mit den Demonstranten zu sympathisieren. Dreifuss reagierte gelassen und kehrte zum geplanten Programm zurück. Sie hielt auch an ihrer vorbereiteten Rede fest, in der sie ausführlich die Menschenrechte ansprach. Gestern reiste Jiang nach Genf weiter, wo er am Nachmittag vor der UN-Abrüstungskonferenz sprechen und UN-Vertreter treffen wollte. Auch in Genf waren Proteste angekündigt.

In Bonn wollten Kanzler Schröder und Außenminister Fischer gestern nachmittag erstmals mit Chinas Außenminister Tang Jiaxuan zusammentreffen. Tang hält sich wegen des am Montag in Berlin beginnenden Außenministertreffens der asiatisch-europäischen Staaten in Deutschland auf.

Derweil wurde in China erneut ein Bürgerrechtler verurteilt. In der Provinz Shandong sei Che Hongnian für drei Jahre in ein Arbeitslager gesteckt worden, teilte gestern das Hongkonger Informationszentrum für Demokratie und Menschenrechte mit. Ihm wurden Kontakte mit dem Informationszentrum vorgeworfen.

Sven Hansen Kommentar Seite 12

taz Nr. 5797 vom 27.3.1999 Seite 11 Ausland 79 Zeilen
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Saturday, March 27, 1999 Published at 06:16 GMT