Mit Prozessen versucht Chinas KP den offenen Versuch zur Gründung einer Dissidentenpartei zu beenden. Die Angeklagten müssen sich selbst verteidigen, weil ihre Anwälte unter Druck gesetzt wurdenAus Peking Georg BlumeIn Hangzhou und Wuhan haben gestern die Prozesse gegen zwei Mitbegründer der oppositionellen Demokratischen Partei begonnen. Wang Youcai (32) und Qing Yongmin (45) wird "Anstiftung zum Sturz der Regierung" vorgeworfen. Vor dem Gerichtsgebäude in Hangzhou, das von 20 Polizisten abgeschirmt wurde, fanden sich nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP rund 200 Anhänger der Demokratischen Partei ein. Einer Frau gelang es, ein kleines Transparent mit der Aufschrift "Protest" zu entfalten. Die Angeklagten erwartet eine Mindeststrafe von zehn Jahren Haft. Sie müssen sich selbst verteidigen, da ihre Anwälte nach Angaben von Menschenrechtlern unter dem Druck der Behörden, auf schuldig zu plädieren oder das Mandat niederzulegen, die Verteidigung nicht übernahmen. Nur wenige Familienmitglieder wurden im Gerichtssaal zugelassen. In ihrer Anklage beruft sich die Staatsanwaltschaft in Hangzhou auf den Satz aus der Parteiverfassung, "daß nur der Aufbau einer Oppositionspartei die Tyrannei beenden kann". Auch habe Wang mit "feindlichen" Kräften im Ausland "unter einer Decke gesteckt". Als Beweis werde darauf verwiesen, daß er Gründungspapiere der Partei per E-Mail ins Ausland geschickt und Spenden für den Kauf eines Computers angenommen habe. Der ehemalige Studentenführer Wang hatte bereits nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 zweieinhalb Jahre in Haft gesessen. Qin hatte acht Jahre im Gefängnis verbracht, da er in der Demokratiebewegung Ende der 70er Jahre aktiv war. In den letzten Wochen haben Chinas Behörden landesweit rund 30 Dissidenten verhaftet, die seit Juni am Aubau der Oppositionspartei beteiligt waren. Mit dem Beginn weiterer Prozesse wird in den nächsten Wochen gerechnet. Die neue Repressionswelle gegen Andersdenkende legt nahe, daß sich an den demokratiefeindlichen Grundprinzipien der Kommunistischen Partei Chinas, die heute das 20. Jubiläum des Reformbeginns unter Deng Xiaoping feiert, auch nach zwei Jahrzehnten Öffnungspolitik nichts geändert hat. Die wagemutigen Parteigründer berufen sich mit ihrem Anliegen auf die von der Pekinger Regierung erst im Herbst unterzeichnete UN-Konvention über bürgerliche und politische Rechte. Darin wird die Versammlungsfreiheit ausdrücklich betont. Doch die KP hat die UN-Konvention nicht wörtlich gemeint: "Niemand durfte erwarten, daß unsere Unterschrift unter ein UN- Papier eine Veränderung des politischen Systems zur Folge hat", betont ein ranghoher chinesischer Diplomat. Richtig daran ist, daß bisher auch in westlichen Regierungskreisen niemand an die schnelle Einlösung der UN-Doktrin glaubte. Vielmehr hoffte man auf die Langzeitwirkung. Die schnelle Gründung einer Oppositionspartei ist auch in Dissidentenkreisen umstritten. So gibt es Kritik auch von den Köpfen der Demokratiebewegung um den heute im US-Exil lebenden Wei Jingsheng. "Die Bewegung ist nur ein junger Keim, der jederzeit zerstört werden kann", mahnt Liu Qing, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation "Human Rights in China" und Weis rechte Hand in New York. Nach Meinung einiger Alt-Dissidenten sei das Großunternehmen Parteigründung im Einparteienstaat zu schnell und zum politisch falschen Zeitpunkt begonnen worden. "Das internationale Umfeld für Peking ist günstig für Repressionen. China steht derzeit nicht unter Druck anderer Länder - von einiger milder Menschenrechtskritik des Westens abgesehen", beobachtet Liu Qing. Tatsächlich haben die erfolgreichen China-Besuche Bill Clintons und Tony Blairs den Eindruck erweckt, daß China und der Westen endlich zu einer gemeinsamen Sprache finden. Zwar gab es in der Sache keine Einigung. Doch so strittige Themen wie die Zukunft Tibets und die historische Bewertung des Tiananmen-Massakers von 1989 waren in diesem Jahr erstmals Gegenstand offener Gespräche zwischen den Staatsführungen. Um so geringer ist derzeit das Interesse westlicher Regierungen, den Konfrontationskurs mit Peking wiederzubeleben. Allein unter seinesgleichen empfing kürzlich Bundesaußenminister Joschka Fischer Wei Jingsheng in Bonn und erntete Empörung aus Peking. Viele übersehen, was vor Ort mit Leuten wie dem 30jährigen Lin Hai geschieht. Der politisch bislang nie in Erscheinung getretene Jungunternehmer steht derzeit in Shanghai vor Gericht. Er soll mindestens zehn Jahre Gefängnisstrafe dafür büßen, daß er chinesische Internet-Adressen an ausländische Kunden, darunter eine Dissidentenzeitung in den USA, übermittelte. "Mein Mann hat nicht mehr getan, als öffentliche Informationen, wie sie in einem Telefonbuch stehen, zu verkaufen", beteuert Lins Ehefrau seine Unschuld. Der Fall Lin Hais hat besondere Aufmerksamkeit erlangt, weil er von einer neuen Stärke der Bewegung handelt. Waren die berühmten Wandzeitungen der Pekinger Studenten bis zu ihrem Aufstand im Frühjahr 1989 das bei weitem geläufigste Mittel kritischer öffentlicher Meinungsäußerung, erreichen die Dissidenten von heute über das Internet ein Millionenpublikum. Das führende Diskussionsblatt der Szene, "VIP Reference", wird derzeit aus Washington an 250.000 Adressen in China versandt. Hinter den einzelnen Adressaten stehen dann meist mehrere Leser. Um so verzweifelter wirkt der Versuch der Kommunisten, der Internet-Dissidenz mit einem Prozeß zu Leibe zu rücken. Indessen haben westliche Regierungen bisher keinen Alarm geschlagen. Zu groß ist die Versuchung, erfurchtsvoll den Trommeln der kommunistischen Propaganda zu lauschen, die den zwanzigjährigen Erfolg der Dengschen Reformpolitik verkünden. Und wirklich: Innerhalb von zwei Jahrzehnten halfen die Kommunisten 200 Millionen Menschen, der Armut zu entkommen. Sie erreichten in dieser Zeit die Verfünffachung des Pro-Kopf- Einkommens von über 1,2 Milliarden Chinesen, deren Haushalte heute durchschnittlich über je einen Fernseher verfügen. 1980 besaßen lediglich 0,4 Prozent der Haushalte ein TV-Gerät. Die Liste der Reformerfolge ist lang. Sie erfaßt inzwischen auch Zivil- und Unternehmensrecht. Erstmals genießen Chinesen eine gewisse Freiheit bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Doch noch immer ist das Machtmonopol der KP, das die Verfolgung politisch Andersdenkender bedingt, von den gesellschaftlichen Reformen abgekoppelt. |
TAZ Nr. 5715 vom 18.12.1998 Seite 11
Ausland 205 Zeilen
TAZ-Bericht Georg Blume