WELT-NACHRICHTENDIENST
Peking/Moskau/London/Bonn - China hat gestern einen unterirdischen Atomtest durchgeführt und damit weltweite Proteste ausgelöst. Der Atomsprengsatz wurde auf dem Testgelände Lop Nor im Nordwesten Chinas gezündet. Während Japan und Australien den Test verurteilten, erklärten Moskau und Bonn ihr Bedauern. Frankreich, das selbst demnächst Nukleartests plant, äußerte sich nicht direkt. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace, die zu Beginn der Woche mit einer spektakulären Aktion in Peking gegen die Atombombentests protestiert hatte, verurteilte die Versuchsreihe scharf.
Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Chen Jian, sprach sich nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Xinhua gleichzeitig mit dem Nuklearversuch für einen Atomteststopp aus: "China ist für das totale Verbot und die Vernichtung von Atomwaffen." Das australische seismologische Institut in Canberra teilte mit, die Bombe mit einer Sprengkraft zwischen 20 000 und 80 000 Tonnen TNT sei im Testgelände Lop Nor in der Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas gezündet worden. Der letzte Atomtest Chinas, das als drittstärkste Atommacht gilt, hatte am 15. Mai in demselben Gebiet stattgefunden.
Die japanische Regierung verurteilte Chinas Atomversuch als "außerordentlich bedauerlich". Tokio deutete an, es könne die nicht rückzahlbare Entwicklungshilfe für China kürzen. Australiens Premierminister Paul Keating sagte: "Australien verurteilt Chinas neuesten Nuklearwaffentest. Australier sind zornig darüber, daß sowohl Frankreich als auch China trotz des Endes des Kalten Krieges und der Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages entschieden haben, weiter Nuklearwaffen zu testen."
In Bonn bekräftigten Bundesregierung und Opposition ihre Kritik an dem Atomversuch. Der stellvertretende Regierungssprecher Herbert Schmülling erinnerte an die "kritische Haltung der Bundesregierung zu Nukleartests". Außenminister Klaus Kinkel sagte, solche Versuche paßten nicht in die heutige Zeit.
Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen sprachen von einer "Provokation". Der SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping warf China einen "schweren Affront" gegen die UNO vor.
Frankreich, das sich wegen seiner eigenen Atomtests im Südpazifik Protesten gegenübersieht, reagierte nicht direkt auf den chinesischen Atomversuch. Das Außenministerium erinnerte lediglich daran, daß Paris für das "Verbot jeglicher Atomversuche und jeglicher Atomexplosionen, gleich welchen Niveaus", sei.
Copyright: DIE WELT, 18.8.1995