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„China betreibt einen kulturellen
Genozid“
Was passiert in Ostturkistan?
IZ-Gespräch mit dem uyghurischen
Menschenrechtsaktivisten Abduljelil
Karakas
Es gibt in der ganzen Welt eine
Reihe von Brennpunkten und
Krisenzonen. Zu den am wenigsten
bekannten gehört das muslimische
Ostturkistan im Westen des heutigen
China. Die muslimische Region, die
bereits zu Zeiten des Propheten
Muhammad Kontakt mit dem Islam
hatte, steht seit der Machtübernahme
Pekings nach 1949 unter enormem
Druck der Assimilation und
Auslöschung ihres muslimischen Erbes
und der dortigen islamischen
Lebensweise.
Islamische Zeitung: Wie bewerten Sie
aus Ihrer jetzigen Lage im Exil die
Situation in Ostturkistan?
Abduljelil Karakas: Die Lage
verschlimmert sich zunehmend. In den
letzten zwei Jahren wurden die
Uyghuren immer mehr gezwungen, sich
zu Chinesen zu wandeln. Die Uyghuren
sind seit mehr als 1.100 Jahren
Muslime, sie benutzten zum Beispiel
in dieser Zeit ein dem Arabischen
entlehntes Schriftalphabet, ähnlich
dem osmanischen Alphabet. Diese
Schrift wurde zwischenzeitlich
verboten. An seiner Stelle wird
jetzt, auch an allen Schulen, das
chinesische Alphabet benutzt. Dies
begann zunächst an den Universitäten
im Jahr 2002, dann wurde sie auch an
Hochschulen, Mittelschulen und
schließlich auch in Grundschulen zur
Pflicht gemacht. Die chinesische
Regierung betreibt sozusagen einen
kulturellen Genozid in ganz
Ostturkistan. Die Unterdrückung der
Religion hält nicht nur an, sie
wurde sogar schlimmer. So ist es
zwischenzeitlich verboten worden,
dass Jugendliche unter 18 Jahren
Moscheen überhaupt betreten oder
religiöse Erziehung erhalten. Doch
die Menschen in Ostturkistan sind
ihrer Religion sehr verbunden und
haben sich bemüht, trotz der
Verbote, die das Schulwesen
betreffen, in den Familien die
religiöse Erziehung fortzusetzen.
Darauf begannen die chinesischen
Behörden, Kontrolleure bis in die
kleinsten Dörfer zu schicken, um
auch diese Art der Bewahrung des
religiösen Wissens zu unterbinden,
indem sogar das Familienleben
ausspioniert wird. Doch wie gesagt,
die Uyghuren sind ihrer Religion und
ihrem Glauben sehr verbunden und tun
weiterhin alles Mögliche, um diese
beiden wichtigen Aspekte ihrer
Identität am Leben zu halten. Doch
die Unterdrückung seitens der
chinesischen Regierung ist wirklich
enorm und der Druck, unter dem die
Menschen leben müssen, ist
entsprechend sehr hoch. Ein weiteres
Mittel der Unterdrückung ist die
sogenannte „wirtschaftliche
Förderung und Entwicklung des
Westens“. Dies ist nur eine Ausrede
und Augenwischerei seitens der
chinesischen Regierung. Sie sagen,
dass ihre Aktivitäten wie die
Ansiedlung von Chinesen in
Ostturkistan, die Erzwingung der
chinesischen Sprache und des
chinesischen Alphabets nur der
Entwicklung der westlichen Region
dienen. Doch die wirkliche Absicht
ist das Gegenteil: Assimilation der
ostturkestanischen Bevölkerung. Und
dies kann nur gelingen, wenn zuvor
ihre religiöse Identität aufgelöst
wird.
Islamische Zeitung: In den letzten
Monaten drang die Nachricht durch,
dass es in Städten wie Urumchi und
Kaschgar massive Abrissaktionen
gegeben hat, durch die zum Beispiel
Basare und ähnliche kulturell
bedeutungsvolle Stätten zerstört
wurden, und dass an deren Stelle
Stadtzentren wie beispielsweise in
Shanghai entstehen. Können Sie
hierzu etwas sagen?
Abduljelil Karakas: Diese Art von
Aktivität begann schon vor etwa vier
Jahren und hat sich in den letzten
zwei Jahren verstärkt. Ein
deutliches Beispiel ist die berühmte
Kaschgar-Moschee. Die unmittelbare
Umgebung der Moschee wurde völlig
eingeebnet, mit der Ausrede, den
Platz um die Moschee zu erweitern.
Allerdings wurden bei dieser Aktion
unzählige Werkstätten und Läden
uyghurischer Handwerkskunst
zerstört. Am Ende blieb nur das
Portal der Moschee und die Moschee
übrig. Und die Moschee möchten sie
auch in eine Art Museum für
Touristen verwandeln. Die Ausrede
der Chinesen nach Außen, gegenüber
Ausländern, ist, „wir wollen das
Stadtbild verbessern“; doch uralte,
historische Stätten werden hierbei
zerstört. Kürzlich haben wir die
Neuigkeit erhalten, daß 17
Straßennamen in Kaschgar umbenannt
wurden und nun chinesische Namen
tragen. Ein weiteres Angriffsziel
sind Bücher und Schriften von
historischer und kultureller
Bedeutung. Hier gab es auch
unschätzbare Verluste. Kurzum - die
Absicht der Chinesen ist es, unsere
Kultur völlig auszulöschen.
Islamische Zeitung: China befindet
sich zur Zeit in einer Phase der
immer stärker zunehmenden
Kapitalisierung. Wie wirkt sich
diese Entwicklung auf die Situation
in Ostturkistan aus?
Abduljelil Karakas: Wie schon
erwähnt, ist die Rhetorik der
Chinesen: „Wir bringen dem Westen
Wohlstand und wirtschaftliche
Entwicklung“. Unter diesem Vorwand
wird chinesischen Unternehmen
erlaubt, überall in Ostturkistan,
nicht nur in großen Städten wie
Urumchi, sondern auch in entlegenen
Gebieten im Süden des Landes, alle
Arten von Firmen zu gründen sowie
die Bodenschätze der Region
auszubeuten, und sie werden dabei
auch durch Steuerfreiheit für die
ersten drei, vier Jahre unterstützt.
Und in allen diesen Unternehmen
sind, sogar in Ballungsräumen wie
Kaschgar, keine Uyghuren eingestellt
- es sind alles Chinesen, die dort
arbeiten. Diese chinesischen
Arbeiter wiederum sind nicht
Chinesen, die bereits in der Region
leben, sondern werden aus anderen
Regionen Chinas dort hin geholt.
Auch hier wird eine Politik der
Assimilation betrieben, unter
ökonomischen Vorwänden, dabei gibt
es eine enorme Arbeitslosigkeit
unter der Bevölkerung in
Ostturkistan.
Islamische Zeitung: In vielen
Ländern um Osttrukistan läuft der
„Krieg gegen den Terror“. Inwiefern
wird dieser von der chinesischen
Regierung instrumentalisiert, um die
Uyghuren zu unterdrücken?
Abduljelil Karakas: Dies ist eine
Frage, die oft von Journalisten
gestellt wird. Es hat schon vor
vielen Jahren uyghurische
Flüchtlinge gegeben, junge Leute,
die bereits vor der Talibanzeit nach
Afghanistan und Pakistan geflüchtet
waren. Es gab unter ihnen auch
einige, die in Afghanistan im Umgang
mit Waffen ausgebildet wurden und
anschließend im Krieg gegen die
Sowjetunion gekämpft haben. Die
überwältigende Mehrheit jedoch hatte
die Absicht, vor allem in Pakistan
zu studieren und eine Ausbildung zu
bekommen. Nach den Anschlägen vom
11. September wurden alle diese
Menschen gleichermaßen als
Terroristen bezeichnet. Sie werden
mit dem Titel „Bin Ladens Männer“
belegt, und in Erweiterung dessen
werden alle Uyghuren als Terroristen
beschimpft. Kurzum, die Anschläge
vom 11. September waren ein
willkommener Anlass für die
chinesischen Behörden, um ihre
Unterdrückung der Uyghuren zu
verschärfen.
Islamische Zeitung: Es wurde
kürzlich eine uyghurische
Exilregierung in den USA gebildet.
Wie ist diese zustande gekommen?
Abduljelil Karakas: Es gab ja
zuletzt in den Jahren 1933 und 1946
eine Republik Ostturkistan. Als 1949
die Kommunisten in China an die
Macht kamen, wurde diese Republik in
einem Abkommen zwischen Stalin und
Mao als Autonome Region in China
eingegliedert. Man versprach
Freiheiten und außenpolitische
Vertretung, Freiheit in inneren
Angelegenheiten, wie beispielsweise
die eigene Sprache, eigene Schrift
und ähnliches. Das Gebiet, das
früher als Turkistan bekannt war,
wurde in Autonome Regionen geteilt:
Kasachstan, Kirgizistan, Usbekistan
und so weiter. China bekam
Ostturkistan zugeteilt. So wurden
wir betrogen und haben unsere
Unabhängigkeit als Republik
verloren. Nun haben wir nach mehr
als 50 Jahren unsere eigene
Regierung gebildet, nicht in der
Heimat, da es dort unmöglich ist,
sondern in der freien Welt.
Islamische Zeitung: Ist die
Tatsache, dass sie diese
Exilregierung in den USA gründen
konnten, ein Beweis dafür, dass es
Regierungen gibt, die die
Behauptungen der chinesischen
Regierung, die Uyghuren seien
Terroristen, nicht glauben?
Inwieweit wäre das eine Anerkennung
Ihres Anliegens?
Abduljelil Karakas: Nein. Wir sehen,
wie die Welt in ein westliches und
islamisches Lager polarisiert wird.
Die muslimischen Länder sind
untereinander nicht einig und
leisten keine Hilfe. Im Westen
herrscht eine Rhetorik der
Menschenrechte, doch wirtschaftliche
Interessen stehen mehr im
Vordergrund. Der Grund, warum wir
diese Exilregierung in den USA
gegründet haben, ist, dass es ein
Land ist, das sich vor China nicht
fürchtet. Die USA haben diese
Gründung weder verhindert, noch
unterstützen sie uns öffentlich.
Diese Exilregierung verteidigt auf
der Ebene der Menschenrechte und im
Bereich der Medien die Rechte der
Menschen in Ostturkistan. Für mehr
haben wir im Moment auch nicht die
Kraft.
Islamische Zeitung: Wie sind Ihre
Erfahrungen in Deutschland? Sie
arbeiten ja nun seit einiger Zeit in
Deutschland.
Abduljelil Karakas: Es gab niemanden
von unseren Leuten, der hier
politisches Asyl beantragte und der
nach Ostturkistan ausgeliefert
wurde, und dafür sind wir dankbar.
Frau Claudia Roth und auch
Außenminister Fischer haben oft in
öffentlichen Aussagen auf
Ostturkistan hingewiesen und ich
möchte bei dieser Gelegenheit auch
über das Medium dieser Zeitung
meinen Dank an sie aussprechen.
Islamische Zeitung: Herr Karakas,
vielen Dank für das Gespräch.
http://www.islamische-zeitung.de/home/index.html |
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© ETIC © Uygur.Org
26.01.2008 12:28 Published By A. Karakash |
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