VON KAI STRITTMATTER
Der Satz: „Ich schau dir in die Augen...“ Die Szene: Humphrey Bogart, Ingrid Bergmann, im Vordergrund ein Klavier, im Hintergrund die finsteren Mächte der Nazis. Nun hat den Satz wieder einer aufgegriffen: George W. Bush, der US-Präsident, an die Adresse des chinesischen Präsidenten. Er wünsche sich vor allem eines, sagte Bush: Jiang Zemin solle ihm einmal in die Augen schauen. Im Vordergrund diesmal das Apec- Gipfeltreffen der asiatisch-pazifischen Staaten. Im Hintergrund die finsteren Mächte des Terrors. Wohl wahr: „Kleines“ hat Bush nicht gesagt, aber eine Romanze deutet sich auch hier an, in Schanghai. Eine unwahrscheinliche Romanze, eine, die noch vor Wochen unmöglich erschienen wäre. Aber vor dem 11. September war die Welt eben auch in Asien eine andere.
Der Kontinent bewegt sich, manche Völker rumoren, die Staaten manövrieren – wohin, ist noch nicht bei allen klar. Und die amerikanisch- chinesische Turtelei ist nur eine Konsequenz aus den Anschlägen von New York und Washington, wenn auch eine sehr bedeutende. Andere Schritte, die sonst Schlagzeilen machen würden, fallen kaum noch auf: Japans Plan etwa, weit weg vom eigenen Territorium den US-Truppen in Afghanistan logistische Hilfe zukommen zu lassen – in normalen Zeiten schrien Peking und Seoul da Zeter und Mordio. Nicht jetzt.
Präsident Bush ist ins Ausland gereist. Zum ersten Mal seit den Terrorschlägen. Dass es ein Asien-Gipfel ist, bei dem Bush sich die Ehre gibt, liegt nicht nur am Zufall globaler Konferenzplanung. Dass es ein China-Besuch ist, mag nicht Hauptsache sein, aber Nebensache ist es erst recht nicht. Im Zentrum Asiens, in Afghanistan, fallen die Bomben gegen den Terror, im Südosten des Kontinents brüllen sich Menschen islamischen Glaubens die Seele aus dem Leib, kaum weniger erfüllt von Hass auf die USA als manche arabischen Glaubensbrüder. Dort finden Osama bin Ladens Helfer Unterschlupf, dort müssen die Amerikaner Verbündete bei der Stange halten. Und hier in China haben sie die Chance, das Momentum zu nutzen und ein konstruktives Miteinander in die Wege zu leiten mit einer Nation, welche von der Regierung Bush noch vor Monaten nur als künftiger „Rivale“ gezeichnet wurde.
Vier Nächte wird Bush in Schanghai bleiben, doppelt so lange wie ursprünglich geplant. Es wird geschmiedet werden Tag und Nacht, denn manche der Allianzen – gerade mit den beiden vorwiegend von Muslimen bewohnten Nationen Indonesien und Malaysia – sind brüchig. Die Führer beider Länder haben die Militärschläge in Afghanistan kritisiert. Sie mussten das schon aus innenpolitischen Gründen: Vor allem in Indonesien, dem bevölkerungsreichsten muslimischen Land, gab es anti-amerikanische Krawalle. Bush muss mit der Reisekleidung auch eine andere Rolle anlegen: Nicht der mit starken Worten Führung zeigende Boss ist in Schanghai gefragt, sondern der werbende Diplomat. Warum ihm die bislang am Rand der amerikanischen Weltkarte liegenden Staaten nun überhaupt wichtig sein sollen? Millionen junger, armer, arbeitsloser Muslime sind ein idealer Nährgrund für die Terroristen. Schon jetzt haben bin Ladens Leute Basen in der Region, planten von dort aus Anschläge – vor allem die von Muslimrebellen gehaltenen Inseln der Philippinen sind im Visier der US- Fahnder.
Erstaunlicherweise wird den USA das Werben um guten Willen an diesem Wochenende bei kaum einem leichter fallen als bei China – obwohl der Gastgeber verzweifelt versucht, daran zu erinnern, dass es sich bei Apec eigentlich um eine Wirtschaftskonferenz handelt. Doch hat der Terror als Thema den Gipfel längst in seinem Griff, was, das nur nebenbei, Apec zum ersten Mal eine Bedeutung verleiht, die über die eines prominent besetzten Fototermins hinausgeht. Und jene Regierung, die noch unlängst das Wort „Amerika“ nur zusammen mit Prädikaten wie „arrogant“ und „Aggressor“ buchstabierte, die ein notgelandetes US-Flugzeug für einen Propagandakrieg ausschlachtete – dieses China steht mit einem Male hinter Washington. Zu einem Aug’ in Aug’ mag es erst heute kommen – Ohr an Ohr gab es zwischen Jiang und Bush nun schon mehrmals: Chinas Präsident hat seinem Kollegen Bush am Telefon nicht nur sein Verständnis für die Bombardements in Afghanistan – immerhin ein Nachbar Chinas – erklärt, sondern sogar angeboten, Erkenntnisse seines Geheimdienstes weiterzuleiten. Der Grund: Peking fürchtet selbst islamisch motivierte Separatisten in seiner Grenzprovinz Xinjiang. Man war schon viele Auf und Ab im chinesisch-amerikanischen Verhältnis gewohnt, aber ein Umschwung, wie ihn der Terror-Schock brachte, ist beispiellos.
Die Amerikaner sind bereit, das zu belohnen. So sollen Militär- Sanktionen gegen Peking aufgehoben werden, die noch aus der Zeit des Massakers vom Platz des Himmlischen Friedens stammen. Nicht unwahrscheinlich, dass China mehr will: etwa den Verzicht der Amerikaner auf Kritik an der chinesischen Politik in Xinjiang. Das Vorgehen Pekings in der vorwiegend von muslimischen Uiguren bewohnten Provinz ist jedoch oft weniger ein Kampf gegen den Terror als einer gegen die Menschenrechte. Bei aller Freude über neu entdeckte Gemeinsamkeiten: Hoffentlich hält Bush hier dem Blick des Jiang Zemin stan
Freitag,
19.10. 2001
– Süddeutsche Zeitung - Druckausgabe
|