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Genickschuss für Gemüsediebe


Mehr als tausend Hinrichtungen in China binnen zwei Monaten.

Von Kai Strittmatter


Das gibt es noch: Themen, bei denen China keine Kritik an den USA einfällt. Wie etwa in dieser Woche: wenn der Staat tötet. „Kein Kommentar“, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Sun Yuxi, als er zur Hinrichtung von Timothy McVeigh in Amerika befragt wurde. 

Zur Todesstrafe im eigenen Land hat derselbe Mann einmal gesagt, sie treffe nur „extrem abscheuliche Verbrecher“. 

Von der Sorte muss es neuerdings wimmeln in China. Der Staat hat mehr als eintausend Menschen hingerichtet – in nur zwei Monaten. Das ist eine atemberaubende Zahl selbst für ein Land, das regelmäßig mehr Menschen exekutiert als der Rest der Welt zusammen. 

Sie hat ihren Grund in einer Kampagne, die ihren Namen verdient: „Yanda“, „Hart zuschlagen“. Die Faust soll das Verbrechen treffen. Es schwillt an in einer Gesellschaft, die der Jagd nach dem Geld frönt; es gedeiht im Schatten von Reformen, die Millionen von Arbeitern auf die Straße setzen und Bauern entwurzeln. 

Selbst eine moderate Kriminalitätsrate wird als bedrohlich wahrgenommen in China, das während der Mao-seligen sechziger Jahre schon einmal jegliches Verbrechen gebannt zu haben glaubte. 

Das Volk erregt sich über Morde und blutige Raubüberfälle; die Partei sorgt sich wegen sich häufender Bombenanschläge und der Rückkehr mafiöser Banden. 

Auf einer Konferenz im April befahl Generalsekretär Jiang Zemin den Verbrechensbekämpfern „sichtbare“ Fortschritte und sagte, das sei auch „eine wichtige politische Frage“. Jiang Zemin ist dabei, seine Nachfolge zu regeln: Vor dem entscheidenden Parteikongress im Herbst 2002 wollen er und seine Mitstreiter die Stabilität im Land um jeden Preis sichern. 

Herausforderungen gibt es genug: Der anstehende Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation WTO wird erst einmal noch mehr Chinesen die Arbeitsstelle kosten. 

China hat mehrmals gelobt, einen Rechtsstaat aufzubauen. Seine exzessive und oft willkürliche Anwendung der Todesstrafe spricht dem Hohn. Chinas Justizsystem wird sogar vom eigenen Parlament als oft korrupt und unfähig kritisiert. 

Vor hohen Feiertagen steigt jeweils – politisch motiviert – die Zahl der Exekutionen stark an. Amnesty International sagt, viele Angeklagte hätten keine Chance auf ein faires Verfahren, Geständnisse seien oft durch Folter erzwungen. 

Es trifft dabei nicht nur die Bombenleger oder die Mörder, die beim Überfall auf einen Geldtransporter sieben Menschen erschossen. In China kann man für Steuerhinterziehung ebenso den Genickschuss erhalten wie für Zuhälterei – in der von muslimischen Uiguren bewohnten Provinz Xinjiang auch für politischen Widerstand. 

Im Touristenort Lijiang wurden im April drei Räuber zum Tode verurteilt, die Ausländern 400 Yuan (110 Mark) und eine Kamera geklaut hatten. Der Richter sagte, er wolle damit „Frieden und Harmonie in der alten Stadt“ bewahren. 

Auf der Insel Hainan wurden im Januar gleich Zehn auf einmal hingerichtet: Sie waren keine Kapitalverbrecher, sie hatten Gemüse gestohlen, für 100000 Yuan. „Extrem abscheuliche Verbrechen“? 

Das letzte Mal wurde übrigens 1996 „hart zugeschlagen“, am Ende jenes Jahres zählte Amnesty International 4367 Hinrichtungen (die wahren Zahlen liegen höher, sind aber ein Staatsgeheimnis). Genützt hat es offensichtlich nichts.

Donnerstag, 18.06.2001 – Süddeutsche Zeitung - Druckausgabe