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Tamburin, Flöte, Zupfgeige — das geht noch hin. Aber der
Akkordeonspieler ist einfach nicht gut. Manager Guo windet ihm kurz entschlossen da Instrument aus der Hand, hängt sich den Riemen um und nimmt die
Herausforderung an. Alles muss er selber machen. Der akkordeonlos gewordene Uigure ist erniedrigt und
degradiert. Zurückversetzt ist er vom Stuhl für Musikanten auf die Bank für einheimische Zuschauer. Er stützt den
Kopf zwischen die Hände; der Kopf sinkt zwischen die Knie. Die Tropfen auf dem Boden waren vorher nicht da;
vermutlich schmecken sie salzig. Die uigurische Mütze verformt sich in der Han< des Unglücklichen zu einem
blaugrünen, silber- und golddurchwirkten Etwas aus Stoff. Da nimmt ein Landsmann ihm auch diesen Ausweis de Zugehörigkeit zur Folkloregruppe noch ab. Barhäuptig und tief
gesenkten Kopfes verlässt ein Geschlagener die
Szene. Manager Guo hat sich um diese Einzelheit nicht zu kümmern. Er pack' die Aufgabe an wie einen Parteiauftrag: Genossen, jetzt
heißt es Fröhlichkeit verbreiten, und ein guter han-chinesischer Kader wird auch
dieses Problem lösen können. Selbst wenn er alles allein machen
muss. Fast allein. Tamburin, Zupfgeige und Flöte sind noch immer da. Sie verstehen
die Musik etwas anders als der Manager; der hält sich an die
Massenlinie, gehl einen Kompromiss ein, behandelt das Akkordeon nach gewisser Zeit etwas weniger energisch. Es
muss nicht immer Marschrhythmus sein. Die in Devisen zahlenden Zuhörer, meist Gäste des Hotels, dessen Manager
zu sein Herr Guo die Ehre hat, hören die Dissonanzen ohnehin nicht heraus. Sie schwelgen in uigurischer Folklore an einem gemütlichen Abend in
Kaschgar. Manager Guo gehört gewiss zu den effektivsten Hotelchefs, die
sich im fernen Westen Chinas finden lassen. Er ist zur Stelle, wenn neue Gäste kommen, und
begrüßt sie mit Trauben, Tee, Melonen sowie einer kurzen Ansprache. Er
muss die uigurische Gastfreundlichkeit verkörpern. Er
schaut, dass jeder im Restaurant seinen richtigen Platz bekommt. Er kontrolliert,
dass die Serviererinnen von der richtigen Seite auftragen. Er jagt die Eselstreiber weg vom Hoteleingang, jedoch nicht so weit,
dass
das pittoreske Ortsbild Schaden nähme. Die Gäste sollen nur nicht unmittelbar belästigt werden. Er überwacht,
dass abends im schattigen Bar-Garten die Korbstühle in schöner Symmetrie aufgestellt werden. Er prüft
gewissenhaft, durch Handauflegen, dass das Dosenbier richtig temperiert ist. Er
muss alles allein machen. Auch dafür, dass den Einzelzahlern der zutreffende Betrag in die Rechnungen eingetragen wird,
dass die
Rundfahrtbusse für die Gruppenreisenden in der vorgeschriebenen Reihenfolge anrollen,
dass der Postschalter zur angesagten Zeit offen ist, ist er verantwortlich. Und nun auch noch für die
uigurische Volksmusik.
Manager Guo ist ein schrecklich effektiver Manager.
Gewiss einer der besten seines Fachs im fernen Westen. Wenn man ihm zusieht, wie er, beinahe der einzige Han-Chinese unter lauter türkischsprechenden,
islamischdenkenden Uiguren, auch Kasachen und Kirgisen, in seinem Gästehaus in Kaschgar ein strenges Regiment führt, dann versteht man auch, weshalb die
Uiguren, Kasachen und Kirgisen sich nicht dazu durchringen können,
das große Volk der Han von Herzen zu lieben. Dem unglücklichen uigurischen Akkordeonspieler wird diese Übung seit diesem Abend sicher schwerer fallen. Andere haben Gravierenderes erlebt. |