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Osttürkistan

( Xinjiang )

Xinjiang seit der Kulturrevolution

Widerstand und Aufstande

ach dem Tod Mao Zedongs und dem Sturz der »Viererbande«, der letzten ultralinken Fraktion der Kommunistischen Partei Chinas, im Herbst 1976 wurde in Xinjiang, wie in allen Teilen Chinas, Liberalisierung und Demokratisierung erwartet. Die Veränderungen blieben indes oberflächlich und steigerten so die latent vorhandenen Konflikte bis zum offenen Ausbruch.

Im April 1980 führte die Ermordung eines Uiguren durch einen Han-Chinesen zu einem mehrere Tage dauernden Volksaufstand, und ein Streit zwischen Uiguren und Chinesen um die Aushebung eines Straßengrabens in Kaschgar hatte im Oktober 1981 drei Todesopfer und ebenfalls mehrtägige Straßenkämpfe zur Folge.

In Ürümqi ereigneten sich erstmals während der Reformperiode im Dezember 1985 schwere Zusammenstöße. Gleichzeitig demonstrierten turkestanische Studenten auch in Peking und Shanghai. Sie vertraten ein politisches Programm mit den — lokal etwas verschieden artikulierten — Haupt-forderungen:

El Selbstregierung für Xinjiang (es wurde auch die Wiedereinsetzung des Parteichefs Ismail Aymat verlangt);

El demokratische Wahl einheimischer Funktionsträger statt der üblichen Ernennung durch die zentralen Instanzen in Peking;

El wirtschaftliche Selbstbestimmung der Region;

El bessere Ausbildungsmöglichkeiten, darunter auch Erleichterung des Zugangs zum Auslandsstudium (1988 schickte China rund 20.000 Studenten ins Ausland — davon 20 Nichtchinesen —, der Anteil der Studierenden aus den Minoritäten hatte 1979 mit 3,66% einen historischen Tiefstand erreicht); El Einstellung der Verschickung von chinesischen Straffälligen zur Zwangsarbeit nach Xinjiang;

El sofortige Einstellung der Atombombenversuche in Xinjiang.

In Ürümqi reagierte die Administration erst nach einer Woche auf dies Programm der Demonstranten, und zwar erwartungsgemäß negativ. 6 angebliche Rädelsführer, die an (verfassungsmäßig zulässigen) Straßend monstrationen teilgenommen hatten, wurden auf dem Gelände der Univers tät festgenommen, von der Hochschule verwiesen und mit unbekanntem Zi< verschleppt. Andere kamen nach mehrjährigen Haft- und Zwangsarbeit' strafen frei, ohne ihr Studium fortsetzen zu dürfen.

Anderthalb Jahre darauf wurden neue Vorschriften für die Uni Ürümc erlassen. Danach durften nur noch ethnisch gemischte Schlafsäle bezoge werden. Die uigurischen Studenten protestierten Mitte Juni 1988 gegen di Maßnahme, die sie als weitere Überwachungs- und Kontrollmöglichkeit de Behörden verstanden. Proteste — unter anderem auch gegen die den Turke stanern auferlegte strengere Familienplanungspolitik — wurden bis Septem ber 1988 auch aus Artux, Kaschgar, Aksu, Khotan, Kuldscha und Teke gemeldet. Nach den Unruhen in Kuldscha (Yining) und Tekes bezichtigte de örtliche KP-Funktionär Janabil die Sowjetunion der Aufstachelung de Kasachen und Uiguren gegen die Chinesen. Gegen die chinesische Über macht in den lokalen Verwaltungen von Kaschgar demonstrierten 1981 wochenlang die Einwohner dieser westlichsten Stadt auf dem Boden dei Volksrepublik, die bisher den geringsten chinesischen Bevölkerungsantei hat; es soll danach zu einer Abwanderung eines größeren Teils der chinesischen Zivilbevölkerung gekommen sein.

Diese Kaschgarer Demonstration hat einen die gesamte Region betreffenden Hintergrund. In allen führenden Positionen sahen sich die Uiguren, Kasachen, Kirgisen und anderen Turkestaner nur unzureichend vertreten. Dem Ständigen Ausschuß (engeren Parteivorstand) der KP-Organisation von Xinjiang — 15 Mitglieder — gehörten zehn Chinesen, aber nur drei Uiguren, ein Kasache und ein Mongole an; im S5köpfigen Zentralkomitee saßen 33 Chinesen, aber nur 13 Uiguren, vier Kasachen und je zwei Hui, Kirgisen und Mongolen. In diesen Gremien fallen die Entscheidungen, besser:

werden die in Peking getroffenen zentralen Entscheidungen bestätigt. Das Zahlenverhältnis schließt jeglichen Protest auf Parteiebene und jede eigene Initiative weitgehend aus. Auch in der neunköpfigen Regierung von Xinjiang doIninieren fünf Chinesen die drei Uiguren und den einen Kasachen. Zudem muß aller amtlicher Schriftverkehr in chinesischer Sprache abgewickelt werden; die in den benachbarten Republiken der Sowjetunion immer theoretisch vorhandene und seit 1988 meist
auch praktisch durchgesetzte Gleichberechtigung der Landessprachen besteht in Xinjiang nicht.

Am 19. 5. 1989 stürmten einige hundert Demonstranten den Sitz der Kommunistischen Partei in Ürümqi. Der Anlaß war eine Protestdemonstration gegen eine Shanghaier Publikation, in der in abwertender Weise, unter vorgeblich aufklärerischem Anspruch, über die Sexualpraktiken der Moslems berichtet wurde. Das Buch hielt sich formal an die voyeuristischen Darstel10(1

In Ürümqi reagierte die Administration erst nach einer Woche auf diese5 Programm der Demonstranten, und zwar erwartungsgemäß negativ. 6C angebliche Rädelsführer, die an (verfassungsmäßig zulässigen) Straßendemonstrationen teilgenommen hatten, wurden auf dem Gelände der Universität festgenommen, von der Hochschule verwiesen und mit unbekanntem Ziel verschleppt. Andere kamen nach mehrjährigen Haft- und Zwangsarbeitsstrafen frei, ohne ihr Studium fortsetzen zu dürfen.

Anderthalb Jahre darauf wurden neue Vorschriften für die Uni Ürümqi erlassen. Danach durften nur noch ethnisch gemischte Schlafsäle bezogen werden. Die uigurischen Studenten protestierten Mitte Juni 1988 gegen die Maßnahme, die sie als weitere Überwachungs- und Kontrollmöglichkeit der Behörden verstanden. Proteste — unter anderem auch gegen die den Turkestanern auferlegte strengere Familienplanungspolitik — wurden bis September 1988 auch aus Artux, Kaschgar, Aksu,
Khotan, Kuldscha und Tekes gemeldet. Nach den Unruhen in Kuldscha (Yining) und Tekes bezichtigte der örtliche KP-Funktionär Janabil die Sowjetunion der Aufstachelung der Kasachen und Uiguren gegen die Chinesen. Gegen die chinesische Übermacht in den lokalen Verwaltungen von Kaschgar demonstrierten 1988 wochenlang die Einwohner dieser westlichsten Stadt auf dem Boden der Volksrepublik, die bisher den geringsten chinesischen Bevölkerungsanteil hat; es soll danach zu einer Abwanderung eines größeren Teils der chinesisehen Zivilbevölkerung gekommen sein.

Diese Kaschgarer Demonstration hat einen die gesamte Region betreffenden Hintergrund. In allen führenden Positionen sahen sich die Uiguren, Kasachen, Kirgisen und anderen Turkestaner nur unzureichend vertreten. Dem Ständigen Ausschuß (engeren
Parteivorstand) der KP-Organisation von Xinjiang — 15 Mitglieder — gehörten zehn Chinesen, aber nur drei Uiguren, ein Kasache und ein Mongole an; im S5köpfigen Zentralkomitee saßen 33 Chinesen, aber nur 13 Uiguren, vier Kasachen und je zwei Hui, Kirgisen und Mongolen. In diesen Gremien fallen die Entscheidungen, besser:

werden die in Peking getroffenen zentralen Entscheidungen bestätigt. Das Zahlenverhältnis schließt jeglichen Protest auf Parteiebene und jede eigene Initiative weitgehend aus. Auch in der neunköpfigen Regierung von Xinjiang doIninieren fünf Chinesen die drei Uiguren und den einen Kasachen. Zudem muß aller amtlicher Schriftverkehr in chinesischer Sprache abgewickelt werden; die in den benachbarten Republiken der Sowjetunion immer theoretisch vorhandene und seit 1988 meist
auch praktisch durchgesetzte Gleichberechtigung der Landessprachen besteht in Xinjiang nicht.

Am 19. 5. 1989 stürmten einige hundert Demonstranten den Sitz der Kommunistischen Partei in Ürümqi. Der Anlaß war eine Protestdemonstration gegen eine Shanghaier Publikation, in der in abwertender Weise, unter vorgeblich aufklärerischem Anspruch, über die Sexualpraktiken der Moslems berichtet wurde. Das Buch hielt sich formal an die voyeuristischen Darstellungsformen, die in der von westlichen Massenmedien erreichten Welt kaum mehr Anstoß erregen, war für China, insbesondere die chinesischen Moslems, aber schockierend. Demonstranten — auch unter den Hui in Ningxia und in der Hauptstadt Peking — verglichen die Autoren mit dem britisch-indischen Literaten Salman Rushdie und verlangten unter deutlicher Anspielung auf das von Ayatollah Khomeiny ausgesprochene »Todesurteil« harte Sanktionen. In Ürümqi stieß eine Massendemonstration, Teil der landesweiten Kampagne, auf den massiven Widerstand der Partei und der die Stadt beherrschenden han-chinesischen Mehrheit, aber auf die Billigung regiona1er Funktionäre. Der Sturm auf das Parteigebäude war durch die Weigerung chinesischer Funktionäre provoziert worden, die Demonstranten wenigstens anzuhören. Weniger dramatische Demonstrationen gab es gleichzeitig auch in Kaschgar und anderen Orten Xinjiangs.

Daß diese Demonstrationen nicht auf wenige Schauplätze isoliert waren, zeigte die Reaktion zweier prominenter Xinjianger Politiker. Tomur Dawamat, seit einiger Zeit in der Region amtierender Regierungschef, und Ismail Aymat, der in Peking wirkende Vizevorsitzende der Kommission für die Angelegenheiten der nationalen Minderheiten, formulierten im März 1990 deutliche Warnungen vor dem Aufbegehren der Minoritäten insbesondere in Xinjiang. Aymat und Dawamat werden zu den »Integrationisten« gezählt, welche die Integration der in den Grenzen der Volksrepublik lebenden nicht-chinesischen Völker in die »chinesische Nation« unter Wahrung lediglich der Sprachen, der Folklore und gewisser nationaler Eigentümlichkeiten wollen; sie sind jedoch auch als Anhänger weitreichender wirtschaftlicher Reformen bekannt. Als Gegner der chinesischen Politik in Xinjiang machten beide Politiker den Islam aus. Aymat verwies in diesem Zusammenhang auf die Ausstrahlung der tibetischen Aufstände, spielte aber gleichzeitig auch auf die Demokratiebewegung in den chinesischen Universitätsstädten an. Tomur Dawamat machte außerdem in einer Rede im März 1990 die Sowjetunion für die Zuspitzung der Lage verantwortlich; ein Hinweis auf den Einfluß der Islam-Bewegung im sowjetischen Mittelasien. Der bis 1989 florierende Bau von Moscheen, von denen rund 40.000 in Xinjiang seit 1980 neu- und wieder-eröffnet worden waren, wurde mit sofortiger Wirkung untersagt. Das gab den Anstoß zu den bis dahin schwersten Unruhen seit der Kulturrevolution.

Sie begannen am 5. April 1990 in Baren nahe der Bezirksstadt Akto südlich von Kaschgar. Die Stadt gehört zu dem von Artux, nördlich von Kaschgar, aus regierten Autonomen Kirgisischen Bezirk Kisilsu (»Rotwasser«) und grenzt unmittelbar an Kaschgar und die vorwiegend chinesische Nachbarstadt Shule. Der doppelte Anlaß war, wie meist, ziemlich banal: Zahlreiche Einwohner weigerten sich erstens unter Hinweis auf das Abbildungsverbot des Koran, sich für neue Personalausweise fotografieren zu lassen, und chinesische Behörden weigerten sich zweitens unter formalem Bezug auf die Entscheidung von Ende März, dem von den kirgisischen Moslems geforderten Bau einer neuen Moschee zuzustimmen. Die Stadt ist Verwaltungszen trum eines kirgisischen Autonomen Bezirks, hat aber auch eine zahlreich chinesische Zuwandererbevölkerung. Einige ältere Moscheen waren seit l98~ renoviert und wiedereröffnet worden, jedoch ausschließlich in den altei Wohnvierteln, nicht in Neubaugebieten. Die Ablehnung des Neubaus provo zierte Handgreiflichkeiten und schließlich bewaffnete Auseinandersetzun gen, bei denen offenbar zuerst zwei chinesische Unterhändler getötet wurdet und die bewaffneten Kräfte des Staates (unklar, ob Miliz oder Armee) umge. hend das Feuer aus Maschinenpistolen eröffneten, wobei mindestens 5( Demonstranten erschossen wurden (die chinesischen örtlichen Behörder sprachen von 22 Todesopfern, darunter einem Kader, sechs Polizisten und l~ Moslems). Nach Berichten, die westliche Diplomaten in Peking von Sicherheitsfunktionären bekamen, hätten die Demonstranten den beiden chinesischen Unterhändlern die Köpfe abgeschnitten und diese auf Stangen durch die Straßen von Baren getragen. Eine »Handvoll Gesetzesbrecher« wurde füt den Aufstand verantwortlich gemacht, die außerdem Munitionslager überfallen hätten. Die Regierung von Xinjiang erklärte den gesamten Süden der Region zum Ausländersperrgebiet und ließ Armeeverstärkung nach Kaschgar, Khotan und Aksu einfliegen. Eine Woche lang fanden auch in der Regionalhauptstadt Ürümqi tumultuarische Kundgebungen statt, bei denen grüne (islamische) Fahnen gezeigt und Unabhängigkeitsforderungen artikuliert worden sein sollen. Nach einigen Tagen der Eskalation kam dann auch die Forderung nach einer Ostturkestanischen Republik auf.

Erst nach Wochen bestätigten chinesische offizielle Stellen den Zwischenfall und benannten nun sieben »separatistische Organisationen« als Urheber, darunter ein »Komitee zur Rettung Ostturkestans« und eine »Allianz für ein freies Ostturkestan«. Vereinzelt wurde auch dem in Istanbul lebenden, mittlerweile neunzigjährigen Isa Jussuf Alptekin (in chinesischen Quellen:

»Ai Sha«), der 50 Jahre zuvor der letzten Ostturkestanischen Regierung angehört hatte, die Verantwortung gegeben. Alptekin meldete sich nach den Unruhen vom April mit einem längeren Statement in Istanbul zu Wort, in dem er die chinesische Politik der Unterdrückung bezichtigt und den Kampf der ostturkestanischen Moslems als verzweifelten Überlebenskampf kennzeichnet.

Die chinesische Agitation beschränkte sich im wesentlichen auf Xinjiang. Das regionale Fernsehen und die Presse der Region schossen sich besonders auf den angeblichen Plan ein, »die Teilung unseres großen Mutterlandes zu erreichen« ( TV Ürümqi), und tischten die Version auf, daß Xinjiang seit dem Jahre 60 v.d.Zw. von den Regierungen verschiedener chinesischer Dynastien verwaltet worden und »nie« ein unabhängiger Staat gewesen sei, wobei die implizierte Kontinuität der chinesischen Herrschaft aber nur angedeutet und nie direkt behauptet wurde. Der Plan zur Errichtung einer Republik Ostturkestan sei nur der »sündhafte Plan einer Handvoll nationalistischer Abweichler« (TV Ürümqi) gewesen, dem durch den Opiumkrieg (1839) geschwächten China Xinjiang zu entreißen und den imperialistischen Mächten zu übergeben. So habe 1933 Abdul Baki Sabit Damullah »mit Unterstützung der britischen Imperialisten und in Zusammenarbeit mit Mohammed Emin« (dem letzten Führer der Baßmatschen in Tadschikistan) eine Islamische Ostturkestanische Republik auszurufen versucht, wogegen sich »Menschen aller Nationalitäten« aufgelehnt hätten. — Dieser Hinweis wäre von dem Regionalsender gewiß nicht gegeben worden, wäre die Erinnerung an die Republik von 1933 nicht noch recht lebendig, was der Sender indirekt auch weiter bestätigte: Nationalistische Widerstandskräfte hätten über ein halbes Jahrhundert lang immer wieder mit dem Ausland konspiriert, pan-islamische Gedanken propagiert, »reaktionäre Bücher und Zeitschriften« veröffentlicht und ihr Scheitern auch nicht eingesehen, nachdem China erstarkt sei; die Ostturkestanische Republik könne indes niemals mehr sein als eine trügerische Hoffnung.

Daß es mehr als nur Anklänge an pan-türkische Ideen auch in Xinjiang gibt, kann als erwiesen gelten. Doch entscheidend dürfte die wiederbelebte islamische Identität geworden sein, die die recht künstlichen ethnischen Grenzen zwischen Bevölkerungsgruppen in Xinjiang überwindet. Deshalb richten sich chinesische Repressionsmaßnahmen gegen illegale Koranschulen und das Auftreten nicht von staatlich konzessionierten Religionsfunktionären überwachter Prediger. Möglicherweise zeigt sich darin ein Wiederaufleben der alten Derwischorden. Die besonders repressiven Religionsgesetze, die späterhin im selben Jahr in Xinjiang erlassen wurden und die im Zusammenhang mit der Religionspolitik ausführlicher dargestellt werden, lassen sich auf diesem Hintergrund als Reaktion auf die Ereignisse von Akto und Baren begreifen. Das wird noch dadurch gestützt, daß die chinesische Regierung (das Amt für Öffentliche Sicherheit) Anfang Juni 1990 den fünfzigjährigen, seit drei Jahrzehnten im Geheimdienst tätigen (chinesischen) Direktor des Sicherheitsamtes von Kisilsu, Chen Ruihua, und seinen (kirgisischen) für Akto zuständigen Vertreter Usman Abu Daud zu »Nationalhelden Erster Stufe« beförderten und mit je 5.000 Yuan Sonderprämie für die Niederschlagung des Aufstandes bedachte. Abu Daud habe Wind von der Geschichte bekommen und rechtzeitig genaue Meldung gemacht; Chen habe die Niederschlagung des Aufstandes eigenhändig kommandiert. Die Auszeichnung eines Han-Chinesen zusammen mit einem Kader aus der einheimischen Bevölkerung hat gewollten Symbolcharakter. Daß dem kirgisischen Partner dieser Sicherheits-Allianz dabei die Rolle des Spitzels und Informanten und dem chinesischen Genossen die des Entscheidungsträgers bescheinigt wurde, hebt das Symbol aus der gewünschten Absicht heraus: Es sind die Rollen von Führer und Geführtem sehr deutlh~h geworden. Auch die Auszeichnungen wurden im regionalen Funk ausführlich dargestellt.

Überdies beschäftigte der Aufstand selbstverständlich auch die politischen Gremien der Region. Die Politische Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes (PKKCV) von Xinjiang prangerte Ende Mai — für die Verhältnisse der chinesischen Bürokratie in großer Eile — die »extreme Minderheit« von nationalistischen Separatisten in öffentlicher Deklaration scharf an; was PKKCV-Vizechef Wang Enmao, eine der chinesischen Leitfiguren des Kommunismus in Xinjiang, bei der Gelegenheit äußerte, wurde außer der Tatsache seiner Anwesenheit indes nicht veröffentlicht. Daß starke »ungünstige Faktoren« in Xinjiang bestünden, wurde in der Deklaration jedenfalls offen gesagt.

Umgehend ergriffen die Behörden entsprechende Maßnahmen unter dem allgemeinen Oberbegriff des »Volkskriegs gegen Schwerverbrecher«. Schon nach zwei Wochen meldeten die regionalen Sicherheitsbehörden Mitte August 1990 die Zerschlagung von über 500 Verbrecherbanden und die Konfiskation von über zehn Millionen Yuan Bargeld und riefen zur »Einkesselung der Schwerverbrecher« auf. Damit der Sinn der Aktion nicht mißverstanden werden konnte, definierten die Massenmedien der Region vier Kriterien dieses »Volkskriegs«: 1. besondere Anstrengungen gegen konterrevolutionäre Verbrechen und zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Stabilität, 2. Förderung des Klassenkampfhewußtseins (was man in Xinjiang so seit 1978 nicht mehr gehört hatte), 3. volle Mobilisierung der Massen, 4. strikte Einhaltung der Gesetze und der politischen Linie. Die Razzien konnten danach nicht mehr als unpolitischer Kampf gegen Korruption, ökonomische Mafia und Schiebereien verstanden werden. Diese Aspekte bestehen auch und haben sich seit Beginn der Reformzeit 1978 ausgedehnt

wobei übrigens nicht Turkestaner in jedem Fall Mafiosi oder korrupte Elemente sind; sie werden aber mit der politischen Lockerung in einen Topf geworfen. Daß die stalinistische Methode der Amalgamierung von kriminellen Vergehen mit politischen Abweichungen wiederbelebt wird, was wohl erforderlich geworden ist, um wenigstens ein gewisses Maß an Zustimmung zu erwirken, läßt wiederum Schlüsse auf die Dimension der politischen Opposition zu.


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