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Xinjiang wird oft als Chinas weiter, wilder Westen bezeichnet. Das ausgedehnte Land hat indes seine eigene Identität. Deren bekanntester historischer Aspekt ist jener der klassischen Seidenstraße.
Dieser alte Handelsweg beginnt in den alten chinesischen Hauptstädten Luoyang und Chang'an (heute Xi'an), folgt flußaufwärts dem Verlauf des Weihe-Flusses, erreicht und überquert bei Lanzhou den Gelben Fluß, folgt dann
in allgemein westnordwestlicher Richtung dem Gansu-Korridor und zieht an Wüsten- und Gebirgsrändern entlang durch die Uigurische Autonome Region Xinjiang (Sinkiang). In der Oasenstadt Dunhuang teilt sich die alte
Handelsroute. Dunhuang hat eine eigene historische, kulturelle und auch ethnische Qualität, die mit seiner besonderen geographischen Lage zusammenhängt. Die Oase ist gleichzeitig seit zwei Jahrtausenden Chinas am
weitesten westwärts vorgeschobener permanenter Stützpunkt, obwohl es nur wenige Jahrzehnte lang, in der Han-Zeit, von dem westlichsten Ausläufer der Großen Mauer umschlossen war. Es ist zugleich der am weitesten
ostwärts vorgeschobene Ort permanenter Oasenwirtschaft; und in dieser Oase hat ein Jahrtausend lang die buddhistische Kultur gelebt, auch als sie in China verfolgt war; hier sind die großartigen Höhlenmalereien in den
Mogao-Grotten entstanden, mit der Zeit immer chinesischer in der Form, immer buddhistischer im Inhalt. Und hier haben in historisch feststellbarer Zeit immer Chinesen gelebt, gewohnt und geackert. Dunhuang war
Eingangsort Chinas, Ausgang zur Seidenstraße jenseits der Grenzen über die Pässe Yumenguan (JadetorPaß) und Yangguan
(Sonnenpass) in die für den Reisenden und den Karawanen-Kaufmann schrecklichste aller
Wüstenlandschaften. Ein nördlicher Zweig der Seidenstraße durchquert die Ausläufer der
Stein und Sandwüste Gobi (Chinesisch: Shamo, soviel wie »Sandmeer«, doch das Wort Gobi bezeichnet eigentlich Stein- und
Geröllwüsten). Er erreicht die Oase Hami, verläuft südlich des Bogdashan zur Turfan-Oase, der — nach dem Toten Meer — zweittiefsten Senke der Erde, folgt
flussaufwärts dem Weißpappelfluss bis zur Passhöhe von Dabancheng,
berührt Ürümqi (Urumtschi), verläuft dann über
Passstraßen, die das Tianshan-Massiv durchschneiden, in fast genau südlicher Richtung nach Karaschahr und Korh knickt in westliche Richtung ab zwischen dem Südhang des
Tianshan un parallel zum Tarim-Fluss und erreicht über Kutscha (Kuqa), Aksu und Lailil schließlich Kaschgar, die Metropole des fernsten Westens. Der südlichere Weg verläuft von Dunhuang aus im jetzt trockenen Tal de
Shule-Flusses. Ein sehr alter Weg, der allerdings schon um das Jahr 330 auf gegeben wurde, ging weiter nach Loulan am alten, nun seit zwanzig
Jahre wieder trockengefallenen Lop-See (Lop Nor), um von dort aus südwärts
ii Miran den eigentlichen Süd-Zweig wieder zu erreichen. Dieser schwingt sicl zwischen Flußoasen am Nordhang des Kunlunshanmai (Kunlun-Gebirge auch Altyndagh genannt) und am südlichen Rand der mit 372.000 km2
groß. ten
zusammenhängenden Sandwüste der Erde, der Taklamakan
(Taklimakan. ), entlang. Die bekanntesten Oasensiedlungen auf diesem Weg sind —und waren — Charklik, Cherchen, Endere, Niya, Kerija, Khotan und Jarkand. In Kaschgar
treffen die beiden Wege wieder aufeinander. Westlich von Kaschgar überquerte die Handelsstraße das Pamir-Gebirge. Über beschwerliche Hochgebirgspässe wurde das Fergana-Tal oder der Ober-lauf des Syr Darja erreicht.
Im heute sowjetischen Mittelasien waren die Städte Samarkand, Taschkent, Buchara und Merw Stationen am Wege. Über Meschhed, Rey (südlich Teheran) und Bagdad erreichte der klassische Weg schließlich Antiochia und damit
die Schauplätze römischer, byzantinischer und arabischer Geschichte. Je nach politischer Lage und der Verlagerung der Handelsströme gingen von Samarkand und Fergana aus auch nach Astrachan und Nischnij Nowgorod, nach
Baku und Istanbul (Stambul) Karawanenwege. Ein wichtiger südlich gerichteter Nebenweg ging von Kaschgar und Jarkand aus über den Karakorum. Es dürfte sich um die höchstgelegene Fernhandelsstraße der Antike und des
Mittelalters handeln; die Scheitelhöhe der Pässe reicht bis an die 5000 m heran. Dem Indus-Oberlauf folgend führte der Weg nach Indien. Die erste bedeutende südliche Station war Peschawar im heutigen Nordwest-Pakistan.
Doch auch nach Afghanistan in die Gegend von Kabul und Bämiyän (Bamian) reichten vielbegangene Wege. Von dort aus wurde Indien und der Indische Ozean erreicht. Um das Jahr 200 vor der Zeitwende hat diese
transkontinentale Verbindung zuerst Bedeutung erlangt. Sie verband das Römische Reich im Westen mit dem China der Han-Dynastie. Den Handel vermittelten allerdings meist Kaufleute, die zu keinem der beiden alten
Weltreiche gehörte: Parther zumeist. Voneinander wussten die Bewohner der beiden Großreiche an den Enden der »Straße« während des Altertums nichts. Der Kontakt war vermittelt. Nur wenige ahnten (oder hatten erfahren
können), dass hinter den Handelsgütern Kulturen standen. Ausgangs des Mittelalters erst verbreiteten sich hierhin und dorthin tatsächliche und faktische Kenntnisse, beschränkt, wie zu jener Zeit alles Wissen, auf kleine
Kreise Privilegierter. Vor der Entdeckung des »Seewegs nach Indien« war die Seidenstraße, soweit die jeweiligen politischen Verhältnisse es erlaubten, die wichtigste Verbindung von Orient und Okzident. Die letzte
große Blüte erlebte sie in der Mongolenzeit, als unter der Herrschaft der Dschinghiskhaniden der gesamte Weg von China bis zum Mittelmeer unter einer einigermaßen einheitlichen politischen Gewalt
zusammengefasst war. Zu
jener Zeit reisten Niccolö und Marco Polo (1254 — 1323) in den Fernen Osten, westlich des Pamir nicht immer dem geschilderten Weg folgend, von Kaschgar aus nachgewiesenermaßen auf dem südlichen Weg. Mit der Öffnung der
Ozeane für den Seehandel verlor die Landverbindung rasch ihre Bedeutung. In neuester Zeit folgt ihr auf chinesischem Gebiet die Eisenbahnlinie Lanzhou — Hami —Ürümqi (die Dunhuang südlich liegen
lässt). Ein letztes
Teilstück, das die Verbindung zum sowjetischen und damit zum europäischen Eisenbahnnetz herstellt, wurde Ende September 1990 fertiggestellt. In den 1.700 Jahren ihre oftmals durch Kriege unterbrochenen — Existenz ist
diese Ost-West-Handelsverbindung nie unter dem Namen Seidenstraße bekannt gewesen. Die Bezeichnung hat erst der deutsche Geograph Ferdinand Freiherr von Richthofen (1833 — 1905) geprägt. Sie ist allerdings höchst
zutreffend; denn Handelswege lassen sich durch das wichtigste auf ihnen transportierte Gut unverwechselbar kennzeichnen. Damit solche transkontinentalen kommerziellen Kontakte zustande kommen,
muss eine Ware vorhanden
sein, die am einen Ende der Verbindung produziert und am anderen Ende zu Preisen nachgefragt wird, die Aufwand und Einkauf decken und über alle Risiken hinaus entsprechenden Gewinn abwerfen. Die in China seit über 3.000
Jahren produzierte, im Westen begehrte Seide war ein solches seltenes Gut. Von Europa gingen Edelmetalle, späterhin auch Glas, von Xinjiang (Khotan) vor allem auch Jade ins Chinesische Kaiserreich; da Seide aber außer
als Handelsware auch als »politisches« Zahlungsmittel, mit dem sich die Han-Dynastie und ihre Nachfolger Ruhe vor den Invasionsdrohungen der Steppenvölker erkauften, von überragender Bedeutung war, trifft der heute so
berühmte Name den historischen Tatbestand am genauesten. Zweite
Bedingung für die Entstehung solcher Handelswege ist die Existenz eines geeigneten Transportmittels. Das war mit der Zähmung des baktrisehen Kamels
durch die Bewohner Baktriens und Sogdiens gegeben (um die Zeit der Gründung des Qin-Staates im heutigen Shaanxi und Gansu; in assyrischer Zeit werden erstmals zweihöckrige Kamele erwähnt, und zwar als Teil von
Tributleistungen). Vollbeladene Kamelkarawanen können Tagesmärsche von maximal 45 km zurücklegen. In der Regel liegen die Oasen an der Seidenstraße auch nicht weiter voneinander entfernt. Doch Kamelkarawanen, und nur
diese, können auch bis zu drei Tagesmärsche ohne Tränkung bewältigen. Damit war Massentransport möglich; um die Zeitwende lieferte
Han-China den hunnischen Nachbarstaaten jährlich bis zu 60.000 Ballen Seide als
kommerzielles Entgelt für eine Koexistenzpolitik entlang der Grenzen. D Handel hat jahrhundertelang ähnliche Dimensionen erreicht. Allerdings müssen die politischen Verhältnisse so stabil sein,
dass Fernhandel
möglich ist. Die interessierten Staaten bemühen sich um die Kontrolle d Wege. So hat China in der Geschichte immer in Zeiten größerer Stärke und
Geschlossenheit die Macht über den Fernen Westen zu festigen versuch
Andererseits haben die Beherrscher der Oasensiedlungen Zölle und Abgabe gern für sich einbehalten wollen, was eine starke Tendenz zur Bildung von
Stadtstaaten bewirkte. Einwandernde Reiternomaden versuchten das Territorium
und die Einnahmen zu kontrollieren und schließlich
Territorialstaaten zu gründen. Die von ihnen erhobenen Zwangsabgaben, von Händlern al Raub interpretiert, unterschieden sich nur in der Form von Zöllen und
Grenzabgaben. . Vor diesem Hintergrund hat sich eine vielgestaltige politische Geschichte in der von der Seidenstraße durchquerten Region, der heutigen chinesische Provinz Gansu und der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang,
en! wickelt. Jede Oase hat ihre unaustauschbare Geschichte. Parthische Händler, wohl aus dem Gandhara-Reich im heutigen Afghanistan und Nordpakistan, haben als erste den Buddhismus (die ersten buddhistischen
Zeugnisse datieren von der Regierungszeit des Han-Kaisers Mingdi 58 — 75) nach China gebracht und mit ihm die hellenistisch
beeinflusste, mit indischen Inhalten innig verbundene Plastik. Die buddhistischen
Höhlenklöster
gehen auf sie zurück. Von den fünf bekanntesten — Mogao bei Dun huang, Yungang bei Datong, Longmen bei Luoyang, Binglingsi bei Lanzhoi und Maijishan bei Tianshui — liegen vier im Bereich der Seidenstraße. Sehr bekannt
sind auch die Höhlenklöster von Bezeklik in der Turfan-Oase, vor Kysyl (Kizil), Kumtura und Simsim bei Kutscha. Ihre großen Anfänge
können in die Zeit der Nördlichen Wei-Dynastie (386 — 535) datiert werden. Spuren
weisen weiter zurück. Das gilt besonders für die weniger
leicht zugänglichen Orte am südlichen Zweig der Seidenstraße, etwa Miran und Endere. |